LA FRACTURE von Catherine Corsini

Valeria Bruni-Tedeschi und Marina Foïs in ‚La fracture‘ © Chaz Productions

«Das Private ist politisch» — diese mehrdeutige feministische Parole aus den 1970er-Jahren ist programmatisch für La fracture. Denn der Bruch des Titels läuft nicht nur durch die Beziehung von Raf (Valeria Bruni-Tedeschi) und Julie (Marina Foïs), sondern durch die ganze französische Gesellschaft.

Am Morgen vor einer der eskalierenden Gilets-jaunes-Demonstrationen in Paris tippt Raf frenetisch wütende SMS an ihre neben ihr schlafende langjährige Partnerin Julie, denn die hat ihr am Vorabend eröffnet, dass sie ausziehen und sich eine eigene Wohnung suchen werde.

Der fast erwachsene Sohn der beiden kommt verschlafen aus seinem Zimmer und kündigt an, er werde später an die Demo gehen. Was Raf begrüsst und Julie Sorge macht.

‚La fracture‘ © Chaz Productions

Und noch während die Konfrontation von gilets jaunes und Polizei auf den Champs Elysées eskaliert, rutscht die verzweifelt hinter Julie herrennende Raf auf der Strasse aus und bricht sich den Ellbogen. Als Julie sie in die Notaufnahme im Spital bringt, ist diese bereits überfüllt mit Verletzten von der Strassenschlacht.

Der Film wird das Spital kaum mehr verlassen, er wird zu einer jener kunstvollen Stafetten, in deren Verlauf wir unter anderen Gesundheitspersonal kennenlernen, einen verletzten Lastwagenfahrer, den ersten Freund von Julie und eine verwirrte alte Frau, die in einem kleinen Raum der Notaufnahme fast unbemerkt sterben wird.

Valeria Bruni-Tedeschi und Pio Marmaï in ‚La fracture‘ © Chaz Productions

Das unerträgliche Gezänke der beiden Frauen in Trennung, die längst meisterhaft hysterisch-egozentrische Routine von Valeria Bruni-Tedeschi, die Wut des verletzten Demonstranten und die vielen präzise eingestreuten Einzelschicksale steigern sich zu einem filmischen Crescendo, als die Polizei die Demonstranten mit Stöcken und Tränengas vor der Notaufnahme einkesselt und die Spitalleitung das Personal anweist, die Tore zu schliessen – was von den völlig überarbeiteten, aber mit den Demonstranten solidarischen Frauen und Männern unterlaufen wird.

La fracture bringt eine persönliche Geschichte exemplarisch zusammen mit der immer unhaltbarer werdenden Situation im Gesundheitswesen und der Unzufriedenheit mit dem französischen Staat, auf die dieser keine Antwort zu haben scheint.

‚La fracture‘ © Chaz Productions

Catherine Corsini gelingt das unaufdringlicher und weniger programmatisch als den jüngeren französischen Streikfilmen wie etwa Stéphane Brizés En guerre von 2018.

Vor allem darum, weil zwar auch hier einzelne Figuren Parolen von sich geben. Aber stets gespiegelt, ironisch gebrochen, vor der viel harscheren und eindeutigeren Realität dieser Notaufnahmestation am Limit, die eben so klar für sich selbst steht wie auch metaphorisch für die französische Gesellschaft.

Kommentar verfassen