LES OLYMPIADES, Paris 13e (Paris 13th District) von Jacques Audiard

Noémi Merlant und Makita Samba in ‚Les olympiades‘ © page 114

Gleich drei Cannes-Stars haben am Drehbuch zu Jacques Audiards jüngstem Film gearbeitet: Der Regisseur selbst, Léa Mysius, die 2017 mit Ava überrascht hatte, und Céline Sciamma, deren Portrait de la jeune fille en feu an der letzten regulären Cannes-Ausgabe den Drehbuch-Preis und unzählige Herzen gewonnen hatte.

Gemeinsam haben sie drei Kurzgeschichten des graphic novelist Adrian Tomine (Amber Sweet/Killing and Dying/Summer Blonde/Hawaiian Getaway) in ein episodisches, perfekt verknüpftes Drehbuch gepackt.

Der Film ist, bis auf ein paar farbige Einstellungen auf die Telesex-Workerin Amber Sweet bei der Arbeit in klarem, grafischem Schwarzweiss gehalten.

Das Pariser Quartier des Titels bekommt dabei ein urbanes, futuristisches Gesicht, passend zur den Hauptfiguren.

Émilie (Lucie Zhang) kommt aus einer taiwanesischen Familie, lebt im Apartment ihrer Grossmutter, die in der Nähe zunehmend dement in einem Heim untergebracht ist, während ihre Mutter und Schwester offenbar in London leben.

Camille (Makita Samba) ist Lehrer an einem Gymnasium, bereitet sich aber auf ein Sabbatical vor, in dem er seine Doktorarbeit schreiben möchte. Und Émilie, die eine Untermieterin sucht, lädt ihn zur Wohnungsbesichtigung ein, da sie seinen Vornamen automatisch für den einer Frau hält.

Entsprechend komisch gestaltet sich der Moment, als sie auf sein Klingeln hin die Tür öffnet. Bloss haben wir die beiden zuvor schon nackt beim heftigen Sex vertrauten postkoitalen Beisammensein auf dem Sofa gesehen, in einer der ersten Einstellungen des Films.

Lucie Zhang und Makita Samba in ‚Les olympiades‘ © page 114

Das gehört zu den Stilmitteln von Les Olympiades. Vor allem im ersten Teil des Films entpuppen sich etliche Szenen als Vorwegnahmen, was zu einer verblüffenden Perspektivendynamik führt.

Nora (Noémi Merlant, die Malerin aus Portrait de la jeune fille en feu) taucht erst in einer nächsten, zunächst unverknüpft erscheinenden Episode auf. Sie hat ihre Provinzstadt und ihren Job als Immobilien-Verkäuferin aufgegeben, um in Paris zu studieren.

An ein Studentenfest geht sie gut gelaunt und erwartungsfroh mit einer blonden Perücke, ohne zu ahnen, dass sie damit aussieht wie die Eingangs erwähnte Amber Sweet – für die sie auch prompt von einigen der Studenten mit einschlägigen Erfahrungen gehalten wird. Zu ihrem grossen Entsetzen, als sie endlich versteht, warum sie so unangenehm angemacht wird.

Im Verlauf des Films kommen die Lebenswege dieser drei und etlicher anderer Figuren zusammen, für die meisten ist es ein schmerzlicher Weg aus der Einsamkeit und zu sich selber zu finden.

Audiard arbeitet hier einmal mehr ganz anders als in seinen vorangehenden Filmen. Es gibt wohl kaum andere Filmschaffende zurzeit, welche eine so grosse stilistische Bandbreite aufweisen und zugleich jedem Film eine eigene Prägung geben.

Am nächsten kommt diesem neuen Film vom urbanen Setting her wohl noch Dheepan, aber von Un prophète oder gar den Sisters Brothers bleibt kaum eine Spur, zumindest nicht oberflächlich.

Das interessanteste an diesem unterhaltsamen und eingängigen Film ist wahrscheinlich Audiards Kooperation mit seinen zwei Ko-Autorinnen am Drehbuch. Natürlich ist es im Nachhinein müssig, zu behaupten, die weiblichen Figuren seien deutlich anders und vielschichtiger gezeichnet, weil die beiden einschlägigen Filmemacherinnen daran mitgearbeitet haben. Aber der Eindruck ist stark und erfreulich und die Idee einer solchen Ko-Kreation bestechend anziehend.

Auch wenn unzählige Filme von gemischten Autorenteams geschrieben werden: An eine solche Kombination von drei eigenständigen, ausgewiesenen Filmemacher*innen kann ich mich nicht erinnern.

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