SOUL OF A BEAST von Lorenz Merz

Joel (Tonatiuh Radzi) mit Corey (Ella Rumpf) auf der Langstrasse unterwegs © Ascot-Elite

Als Dreiecksgeschichte zwischen den beiden Enden der Langstrasse und Zürichs Goldküste explodiert Lorenz Merz‘ neuer Film auf der Leinwand. Der Schweizer Beitrag im Wettbewerb des Filmfestivals Locarno will grosse Liebe und wildes Leben: Soul of a Beast.

Eine rasende Motorradfahrt über alle Rotlichter der Zürcher Langstrasse gibt bald zu Beginn von Soul of a Beast das Tempo vor.

Gabriel (Pablo Caprez) hat sich mit dem Rollbrett angehängt, sein bester Freund Joel (Tonatiu Radhzi) ist der rasende Fahrer; das reine, jubelnde Leben gewinnt in diesem Spiel mit dem Tod. Gegen Ende des Filmes wird die Fahrt wiederholt. Dieses Mal gewinnt der Tod.

Gabriel, Joel und Corey (Pablo Caprez, Tonatiuh Radzi, Ella Rumpf) © Ascot-Elite

Die Konstellation von Soul of a Beast folgt dem ewigen Planetarium des Kinomelodrams. Gabriel ist nicht mehr so frei, wie er sich gerne fühlen möchte. Er betreut in der Langstrassenwohnung seinen kleinen Sohn Jamie, den er mit der psychisch ausgeklinkten Goldküstenprinzessin Zoé (Luna Wedler) gezeugt hat. Die aber liegt im Palast ihrer Mutter im Bett und hat ganz wörtlich den Boden unter den Füssen verloren.

Die rothaarige Schwiegermutter-Hexe ist zugleich Nachrichtensprecherin und erklärt der Welt auf TV24 die Welt – auf Französisch, weil dieser Film auch einen japanischen Erzähler hat, der eindrückliche Manga-Sätze über die Bilder spricht, weil dieser Film aussieht, als ob Zürich ein schmutziges Tokio wäre. Und weil Zoés böse Mutter von Lolita Chammah gespielt wird, der Tochter von Isabelle Huppert.

Lolita Chammah ist Zoés Mutter © Ascot-Elite

Das Drama bricht auf, als sich Gabriel auf den ersten Blick in Joels neue Freundin Corey (Ella Rumpf) verliebt hat, nachdem die drei im nächtlichen Mescalin-Rausch Zoo-Tiere befreit haben, darunter ein Puma-Paar und eine Giraffe.

Wenn das zuweilen an David Lynchs Wild at Heart erinnert, liegt das daran, dass auch jener Film, wie Wong Kar-Wais In the Mood for Love, wie die indischen Melodramen, welche Gabriel einmal beschwört, wie die Mangas und die Wuxia-Schwertkämpferfilme, die Soul of a Beast evoziert, nicht irgendeine Geschichte erzählt, sondern essenzielles Kino sein will.

Corey (Ella Rumpf) © Ascot-Elite

Corey erklärt Gabriel ihre Verliebtheit in einigen der wenigen ganzen Mundart-Sätze im Film damit, dass sie dieses Gefühl von Kindheit auf immer gehabt hätte, und dass es nun, da sie ihn getroffen habe, immer stärker werde. Das Gefühl, dass es keine Zeit gäbe, dass sie alles tun könne, dass alles möglich sei.

Das ist das Herz von Soul of a Beast, oder eben die Seele: Diese grosse, schmerzliche Sehnsucht, die das Kino immer sucht, den dramatischen Tagtraum, den Rausch, den Absturz, der zum Höhenflug wird.

Gabriel (Pablo Caprez) mit seinem Sohn Jamie (Art Bllaca) © Ascot-Elite

Das gelingt Lorenz Merz und seinen vielen Mitkünstlerinnen und Mitkünstlern mit Soul of a Beast fast durchgehend. Nicht nur die Bilder und die Montage fliegen und rauschen, auch die Musik, die mitunter – wie bei Wong Kar-Wai — klassische Hollywood-Streicher ihre Magie entfalten lässt, dann wieder Stille im Wald, die das ziemlich grossartige Sounddesign dieses Films erst richtig zur Geltung kommen lässt.

Auch die jungen Wilden werden älter. Lorenz Merz, Jahrgang 1981, anerkennt mit Soul of a Beast die vorgespurte Kino-Essenz unserer Träume und Ängste. Dieser Film ist zugleich ein eigenständiges Kunstwerk und die Summe all dessen, was dazu geführt hat. Und dazu gehören der Kitsch, die Abstürze und der Overdrive, ja selbst die Längen und die Wiederholungen.

Ein einsames Kind hat nur seine Vorstellungskraft, sagt die japanische Stimme einmal.

Wenn das Kind kein Kind mehr ist, hat es dazu noch die Erinnerungen. Die eigenen, und die gemachten, vom Kino geschenkten.

Die Seele dieses Biestes ist das Kino selbst.

Lorenz Merz (Selbstporträt)

Kinostart Deutschschweiz 14. April 2022

Eine Antwort auf „SOUL OF A BEAST von Lorenz Merz“

  1. Schöne Rezension!

    Hab Soul of a Beast gestern gesichtet und war echt überrascht, dass mich eine Schweizer Produktion so beeindrucken konnte. Neben Wong Kar-Wai konnte ich deutliche Einflüsse von Malick wahrnehmen. Dennoch kommt das Werk sehr eigenständig daher und war für mich inszenatorisch ein Befreiungsschlag in der Schweizer Filmwelt. Trotz einigen Längen und teilweise holprigen Übergängen, macht dieser Fiebertraum aus einem Mix von Liebesgeschichte, Sehnsüchten und einer Prise Coming of Age richtig Spass. Grossartig und Hut ab vor der Crew!

Kommentar verfassen