Eine halbe Stunde nimmt sich Aurélia Georges Zeit, um den Weg des Strassenmädchens Nélie von Paris über die Vogesen-Front im ersten Weltkrieg in ein Grossbügerhaus in Nancy nachzuzeichnen, sorgfältig und mit genau den richtigen Details.
Ihre Stellung als Hausmädchen verliert sie, weil die die Zudringlichkeit des Hausherrn vor den Augen seiner Frau abwehrt. Als Kriegs-Krankenschwester findet sie sich im Wald in den Vogesen wieder, und trifft da auf eine verlorene junge Frau, deren Begleitung von den Deutschen erschossen wurde.
Diese Rose Juillet erzählt ihr, dass eben ihr Vater in Basel gestorben ist und dass sie nun auf dem Weg sei zu einer reichen alten Freundin des Vaters, mit einem Empfehlungsschreiben von ihm. Als Gesellschafterin und Vorleserin hofft sie bei der Dame unterzukommen und den Weg in die gute Gesellschaft wieder zu finden.
Als Rose keine halbe Stunde später von einer deutschen Granate tödlich verletzt wird, entschliesst sich Nellie, ihre Identität anzunehmen, reist nach Nancy und wird Gesellschafterin bei Madame de Lengwil (Sabine Azéma).
Alles läuft gut, bis unerwartet die echte Rose in Nancy auftaucht.
Klassenwechsel-Thriller funktionieren auf vielen verschiedenen Ebenen, meist mit perfider Effizienz. Ob nun bei Patricia Highsmith der smarte Ripley die Grenzen zwischen den Einkommensschichten und Lebenssphären durchstösst, oder ob in Trading Places Eddie Murphy die Stellung und das Prestige von Dan Aykroyd usurpiert, die Grundannahme ist stets die, dass die «oben» so in ihrem Dünkel gefangen sind, dass sie ihrer eigenen geschmeichelten Wahrnehmung lieber vertrauen, als unangenehmen Fakten.
Und genau da wird auch La place d’une autre interessant. Der Film ist ausgesprochen klassisch gebaut und inszeniert, ein Kostümdrama mit präziser Detailtreue. Letztlich aber gilt Schein mehr als sein in der guten Gesellschaft der Madame de Lengwil, beziehungsweise: Wer sich richtig zu benehmen weiss, ist am richtigen Ort.
Das ist ein ziemlich subversiver Vorgang. Klassendynamik und Klassendünkel werden in diesem Film noch zusätzlich dynamisiert durch den Umstand, dass eben der erste Weltkrieg einiges in Frage stellt. Der lokale Priester in Nancy ist der Neffe von Madame, aber er ist auch Sozialist und Realist.
Und Nélie hat keine Illusionen, bloss den unbedingten Willen, ein anderes Leben für sich zu erschaffen.
Aurélie Georges spielt das alles sehr konsequent durch, und treibt dann die Geschichte noch um ein Kurve weiter in die Neuzeit, in dem sie zumindest der einen oder der anderen ihrer Figuren eine Lernfähigkeit zugesteht, welche die gesamte Dynamik noch einmal verschiebt.
Das rechtfertig denn auch die aufwändige Rekonstruktions-Ausstattung, die klassisch eingesetzte Musik und die zugehörige Kameraästhetik: Wir brauchen all das, um den Bruch mit der vorgeführten Zeit überhaupt zu erkennen.