LUZIFER von Peter Brunner

Johannes (Franz Rogowski) und sein Johannes-Adler Arthur © Ulrich Seidl Filmproduktion

Franz Rogowski spielt wieder einmal ein Kind im Körper eines Mannes. Und das macht er unglaublich gut. Johannes heisst er, lebt mit seiner Mutter in einer Hütte auf einer Alp, pflegt seine Vögel, einen Uhu, einen zahmen Adler.

Die Mutter wird von Susanne Jensen gespielt, einer Laiendarstellerin, Pastorin offenbar und Künstlerin. Regisseur Peter Brunner beschreibt sie als Missbrauchsüberlebende und Ausnahmepersönlichkeit.

Diese Mutter zeigt sich als Ex-Alkoholikerin, religiös, tätowiert am ganzen Körper, mit einer klaren Tendenz zur Mystifizierung oder De-Rationalisierung der Welt. Sie betet viel, allein und mit ihrem Sohn. Sie erfindet Rituale oder wandelt sie ab, voller Dankbarkeit, dass sie über den verstorbenen Vater ihres Sohnes zurück in ein Leben ohne Sucht gefunden hat.

Mutter (Susanne Jensen) und Sohn (Franz Rogowski) als Doppelkreuz © Ulrich Seidl Filmproduktion

Aber auch voller Angst und Sorge um ihren Johannes, der schliesslich in seiner ganzen herzlichen Einfachheit eines Tages ohne sie wird überleben müssen. Sie bittet Gott, ihm Vater zu sein. Aber sie erzählt Johannes auch vom Teufel, versucht, ihn von gewissen Verhaltensweisen abzuhalten, indem sie die für des Teufels erklärt.

Darunter klassisch der Moment, in dem sie ihn beim Onanieren erwischt, vor dem Foto der Tierärztin auf seinem Smartfon. Der Teufel sei jetzt in seiner Hand, der sei da nicht mehr wegzukriegen. Worauf Johannes seine Hand für sie ins Feuer hält und sie ihm erschrocken erklärt, zur Reinigung brauche es Wasser, nicht Feuer.

Johannes (Franz Rogowski) im Spiel mit seinem Adler Arthur © Ulrich Seidl Filmproduktion

Das ist eines der vielen Details in diesem Film, die später ganz direkte, schreckliche Folgen haben werden. Denn dass die Mutter den Teufel überhaupt ins Spiel bringt, scheint angesichts der realen Bösartigkeiten, die sich abspielen, völlig überflüssig.

Die stille Alp der beiden soll als Skigebiet touristisch erschlossen werden. Die Frau soll verkaufen und will nicht. Also wird Druck aufgebaut. Bäume werden gefällt, Drohnen fliegen dauernd um das Haus herum, bedrohlich anonym einerseits, für Johannes aber auch faszinierend, wie seine eigenen Vögel.

Selbstkasteiung der Mutter (Susanne Jensen) © Ulrich Seidl Filmproduktion

Susanne Jensen erinnert mit ihrer Körperhaltung und dem kahlgeschorenen Kopf an die von Samantha Morton gespielte Alpha, die Anführerin der «Whisperer» in der Zombie-Serie «The Walking Dead», nicht nur optisch, sondern auch mit ihrer rational motivierten erzieherischen Ritualisierung der Welt zugunsten ihres Sohnes.

Das ist nicht Susanne Jensen, sondern Samantha Morton als Alpha in ‚The Walking Dead‘ © 2019 AMC Film Holdings LLC

Vieles an diesem Film ist ausgesprochen faszinierend. Auch und gerade der Programmierungsaspekt von religiösen und pseudoreligiösen Ritualen. Zugleich erstaunen Peter Brunners Rückgriffe auf abgegriffene Symbole oder gar längst überholt geglaubte Verbote. Da taucht immer wieder die Schlange auf, das Kreuz kopfüber, eine verkohlte Madonna in einem toten Baum in der Nähe des Hauses; ein Ort, der schliesslich zum Golgatha-Hügel wird.

Das sind die tief verwurzelten, pervertierten Bilder einer katholischen Schreckenswelt, wie sie vor allem us-amerikanische Filme wie The Exorcist und Rosemary’s Baby standardisiert haben. Dass gerade ein österreichischer Film ebenfalls nicht darauf verzichtet, ist vielleicht logisch, wenn man die Ikonografie des Heimatfilms nicht einfach ignorieren will.

Die Dichotomie zwischen den «Geretteten» auf dem Berg und der bösen Welt, die zu ihnen hinaufkommt, funktioniert in der gegenwärtigen Stimmung leider nur zu gut. Wir leben im Bewusstsein, unsere Welt zu zerstören. Und in der Angst, dass keines unserer immer schneller wechselnden Rituale das wird verhindern können.

Dass es aber auch ohne Rückgriff auf standardisierte Ikonografie geht, hat zum Beispiel Fredi M. Murer vor bald vierzig Jahren mit Höhenfeuer gezeigt, jenem Film, an den Luzifer wohl alle erinnert, die Murers zeitloses Meisterwerk kennen.

Im direkten Vergleich wirkt Luzifer wie ein zeitgenössischer Zerrspiegel, ein kräftiger, verzweifelter Abgesang.

Regisseur Peter Brunner

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