GARÇONNIÈRES von Céline Pernet

‚Garçonnières‘ © Climage

Der erste Sex? Das sei schrecklich gewesen, peinlich, ein Desaster. Das sagen sie fast alle, die Männer zwischen dreissig und fünfundvierzig vor Céline Pernets Kamera.

Sie habe Männer immer gemocht, faszinierend gefunden, erklärt die Anthropologin und Filmemacherin zu Beginn ihres täuschend einfachen Dokumentarfilms.

‚Garçonnières‘ © Climage

Aber irgendwann sei ihr klar geworden, dass sie keine grosse Ahnung davon habe, wie diese Männer eigentlich funktionieren.

Und so suchte sie per Annonce Männer, die sich auf ein gefilmtes Interview mit ihr einlassen würden, auf ein Gespräch über alles. Über die Rolle des Mannes, sein Image, die Sexualität, die Erwartungen, Ängste, Hoffnungen und Erfahrungen.

‚Garçonnières‘ © Climage

Was da zusammenkommt, in erfreulich lockerer Atmosphäre, ist zum grössten Teil hinreissend ehrlich. Selbst dort, wo die Typen zunächst in einer demonstrativen Pose verharren, gelingt es der Filmemacherin, mit einfachen, direkten Fragen und Reaktionen eine Ebene tiefer zu gehen.

Die ganz grosse Frage, jene nach der Rolle des heutigen Mannes in der Gesellschaft, zeitigt bei fast allen vergleichbare Antworten: Unsicherheit, Bedauern, Verständnis für den machoiden Backlash angesichts schwindender Privilegien. Und dann aber gleich auch – bei den meisten – die Erkenntnis, dass es ja schon lange nicht mehr funktioniert hat mit den alten Rollenmodellen.

‚Garçonnières‘ © Climage

Das ist vordergründig die wohltuendste Erkenntnis dieses Filmes: Diese Männer haben alle längst gemerkt, wo’s klemmt. Und sie haben Wege gefunden, damit zu leben.

Natürlich ist davon auszugehen, dass Céline Pernet nur jene in den Film eingebaut hat, die

a) auch nach den Dreharbeiten noch damit einverstanden waren und

b) Dinge sagen, die irgendwo hinführen, zurück oder vorwärts.

Abgesehen davon, dass die Typen perfekt ausgeleuchtet an unterschiedlichen Orten in einer gemütlichen, grossen Wohnung vor der Kamera sitzen, und man Céline Pernet hinter der Kamera auch fragen und reagieren hört – die Atmosphäre ist durchgehend freundlich, offen und fröhlich – hat die Filmemacherin auch noch zwei weitere Ebenen in ihr vordergründig so simples Talking-Heads-Setup eingefügt. Oder eigentlich sogar drei.

‚Garçonnières‘ © Climage

Die erste ist ihre eigene Situierung, ihre Stimme als Voice-Over, die sehr offen davon erzählt, wie sie als kleines Mädchen natürlich auch die Prinzessin habe sein wollen – dazu die entsprechenden Home-Movie-Sequenzen –, wie sie aber auch bald erkannt habe, was der Preis dafür sei: Stets gefallen zu müssen «et se laisser faire», also passiv zu bleiben.

Sie erzählt im Verlauf des Filmes von ihren vielen Dates, der Entdeckung von Tinder, der grossartigen Möglichkeit für unverbindliche Treffen und unverbindlichen Sex, und der späten Erkenntnis, dass ihre eigene Offenheit dafür gepaart ist, mit einer Zurückhaltung hinsichtlich tieferer Beziehungen und jeder Vorstellung von Mutterschaft.

Diese Ebene sorgt dafür, dass die Befragungssituation mit den Männern nie einseitig wirkt, sondern wie ein einvernehmlicher, vertrauensvoller Austausch.

‚Garçonnières‘ © Climage

Die zweite und im Kontext wirklich geniale Ebene sind Zwischensequenzen, die wie eigenständige Kurzdokus wirken:

Junge Männer und Jungs, die auf der obersten Plattform des Zehnmetersprungturms stehen und dann wieder runterklettern. Männer, die Männersachen machen: Hockey spielen. Schiessen. Rasenmähen.

Zwei Männer, die über fahrbare Lifte mit Heckenscheren riesige penisartige Thujas zurechtstutzen.

Ein Garagentor, das hochfährt, den Blick auf die Männer in ihrem in die Garage integrierten Kraftraum freigibt, und wieder runterfährt.

Männer vor dem Duschen nach dem Sport in der Umkleidekabine.

Männer, die bei einer Passfahrt ihre Motorräder in Reih und Glied nebeneinander parkieren.

‚Garçonnières‘ © Climage

Diese Kurzdokus sind schon für sich genommen schlicht hinreissend. Im Kontext mit den Gesprächen wirken sie darüber hinaus auf sehr liebevolle Weise ironisch kommentierend.

Und dann kommt die Steigerungsdramaturgie in den Gesprächssituationen dazu, die Befragung wird immer stärker zum Gespräch und die einzelnen Gespräche, die schon vorher in thematischen Sequenzen hintereinander gereiht wurden, werden nun zu Dialogen, die sich ergänzen.

«Garçonnieres» sind Junggesellenwohnungen. In diesem Film sind das aber die kleinen Kopf-Quartiere, in denen diese Männer sich sicher genug fühlen, um bei sich und damit ehrlich zu sein. Dass der ganze Film zu so einer hellen, angenehmen Garçonniere geworden ist, macht Freude.

Und dass die Männer ihre Offenheit hier mit einer Frau teilen, auf eine Weise, die sie unter sich wohl kaum je finden würden – das ist der Metawitz und der Hoffnungsmotor von Garçonnieres.

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