ZHENA CHAIKOVSKOGO (Tchaikovsky’s Wife) von Kirill Serebrennikov

Alyona Mikhailova (Antonina Miliukova) und Odin Lund Biron (Pyotr Tchaikovsky) © Hype Film

Ein historisches Kostümdrama hätte man von Kirill Serebrennikov nicht gerade erwartet, auch wenn seine letzten Filme durchaus schon in der jüngeren sowjetischen Vergangenheit angesiedelt waren.

Jetzt aber geht er zurück in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in Moskau und erzählt die tragische Geschichte der loyalen Gattin des schwulen Komponisten Tschaikowsky. Auf den ersten Blick eine überraschende Wahl.

Der dissidente russische Regisseur war immer wieder in Cannes, nachdem er 2008 am Filmfestival Locarno einen Preis der Jugendjury gewonnen hatte. Mit dem packenden Leto und letztes Jahr mit Petrovs Flu hat er filmische Marken gesetzt, dazwischen hat er immer wieder auf europäischen Bühnen inszeniert – oft via Zoom, weil er Russland aufgrund eines ziemlich fadenscheinigen Prozesses nicht mehr verlassen konnte.

Die Rekonstruktion der grossbürgerlichen Moskauer Gesellschaft des ausgehenden 19. Jahrhunderts ist in diesem Film nicht bloss eine historisierende Übung, auch wenn der ausstatterische Aufwand beträchtlich ist.

Odin Lund Biron (Pyotr Tchaikovsky) und Alyona Mikhailova (Antonina Miliukova) © Hype Film

Antonina Miliukova ist eine schwärmerische, musikalisch begabte junge Frau aus einer Familie, die längst nicht vermögend genug ist, um in der besseren Moskauer Gesellschaft ganz ernst genommen zu werden. Aber im Salon einer Verwandten trifft sie auf den Komponisten Pjotr Tschaikowsky und verliebt sich rasend.

Tschaikowsky weist ihre hartnäckigen Avancen klar zurück, sie droht mit Suizid, verspricht bedingungslose ewige Liebe und schliesslich gar noch ein finanzielles Auskommen, das sie mit der Erbschaft eines Waldstückes zu finanzieren hofft.

Da steht der Komponist plötzlich wieder in ihrem bescheidenen Zimmer, erklärt gewunden und verlegen, er sei zu alt für sie und er habe auch dunkle Seiten, von denen sie nichts wisse, er sei launisch, und dauernd verschuldet. Aber wenn Sie sich vorstellen könnte, eine Ehe mit ihm einzugehen, mehr wie Bruder und Schwester, dann wäre er allenfalls auch dabei.

Die von Alyona Mikhailova mit einer überzeugenden Mischung aus Entschlossenheit und Schwärmerei gespielte junge Frau hört nur, was sie hören will.

Alyona Mikhailova (Antonina Miliukova) © Hype Film

Selbst nach der seltsam mechanischen Hochzeitsfeier ist sie ausser Stande, all die vielen Signale zu deuten, die herzlichen Begegnungen des Komponisten mit seinem ausschliesslich männlichen Freundeskreis. Sie brennt für ihren Gatten, will ihn schützen und ihm helfen.

Tschaikowsky flüchtet schliesslich nach Sankt Petersburg, einer seiner Brüder und der Pianist Nikolai Rubinstein suchen die Alyona schliesslich auf und versuchen ihr klar zu machen, sie solle den Komponisten freigeben, sein Geisteszustand sei gefährdet.

Aber Alyonas Liebe ist längst obsessiv. Der Scheidung kann und will sie nicht zustimmen, weil sie sonst den geliebten Mann der Untreue bezichtigen müsste, anders ist keine Scheidung zu bekommen.

Serebrennikov inszeniert den Absturz einer schwärmerischen jungen Frau in die Hölle der Obsession mit viel Aufwand. Er wirft aber eben so viel Sorgfalt in die Zeichnung der Kreise, in denen sich Tschaikowsky bewegt, die Selbstverständlichkeit einer schwulen Kultur, die keinen grossen Aufwand treibt, um sich zu verstecken.

Vielleicht erklärt das Serbrennikovs Interesse an dem Stoff, über sein augenfälliges dramatische Potential hinaus. Denn die mehr oder weniger staatlich geförderte Schwulenfeindlichkeit in Putins Russland bekommt mit diesem Film und seinem Rückgriff auf das 19. Jahrhundert einen historischen Spiegel verpasst, der wunderbar zweideutig funktioniert.

Einerseits ist Tschaikowski kein strahlender Held hier, aber er ist auch kein Bösewicht. Und die Frau mit ihrer blinden Obsession legt eigentlich lauter Tugenden an den Tag, allen voran eine bedingungslose Loyalität – die sich nachgerade absurd anfühlt und sich als ausgesprochen destruktiv erweist.

Keine einfachen Verhältnisse.

Ein Rückblick auf eine Zeit, in der Moskauer Kultur europäische Kultur war.

Und ein Film, der gesellschaftspolitisch faszinierend mehrdeutig operiert.

Serebrennikov hat Russland mittlerweile verlassen. Und sein Film ist eine russisch-europäische Ko-Produktion mit Finanzierung aus Frankreich und der Schweiz.

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