R.M.N. von Cristian Mungiu

Matthias (Marin Grigore) und sein Sohn Rudi (Mark Edward Blenyesi)

Matthias (Marin Grigore) aus einer Kleinstadt im rumänischen Transylvanien ist auf der Suche nach Arbeit als Metzger in einem deutschen Industrischlachthof gelandet. Als ihn der Vorarbeiter als «Zigeunerpack» bezeichnet, rastet er aus, schlägt den Mann nieder und fährt per Autostopp zurück nach Hause.

Da hat ihn die Mutter seines Sohnes eben so wenig erwartet wie Csilla (Judith State), seine vormalige Geliebte, welche nun die örtliche Grossbäckerei leitet. Der kleine Rudi freut sich zwar über die Rückkehr des Vaters. Aber sprechen mag er trotzdem nicht, seit er im Wald auf dem Weg zur Schule etwas gesehen hat, das ihn traumatisiert hat.

Es kommt vieles zusammen im neuen Film von Mungiu. Anders als 4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage, der ihm 2007 die Goldene Palme von Cannes eingebracht hat, spielt R.M.N. in der aktuellen Gegenwart.

Der Titel steht wohl grundsätzlich für das gesellschaftlich fragmentierte Rumänien, auch wenn er sich im Film schliesslich auf das MRI, den Gehirnscan bezieht. Und auch das ist ein Parallelbild für den ganzen Film.

  • Republica Moldovenească Nistreană = Transnistrien, nicht anerkanntes autonomes Gebiet
  • Résonance magnétique nucléaire = Magnet-Resonanz-Tomographie (MRI)
  • Balkan-Romani = Klassifizierte Variante der Rumänischen Sprache

Die dritte Variante der Abkürzung ist wohl die explosivste, denn die verschiedenen Sprachen, Rumänisch, Ungarisch und Deutsch in der Kleinstadt sind ebenso Anlass für Zwiste und Ärger wie die gemeinsame Verachtung für die Roma, «die wir endlich vertrieben haben».

Csilla (Judith State) und Matthias (Marin Grigore)

Das meint die grosse Mehrheit der Einwohner, als Csilla und die Backfabrik-Besitzerin drei tamilische Hilfsbäcker einstellen – weil niemand in der Gegend bereit war, für den gebotene Mindestlohn zu arbeiten. Die Tamilen müssen weg, «wir haben nichts gegen sie, solange sie dort bleiben, wo sie hingehören».

Eingestellt wurden die drei von den beiden Frauen, weil sie erst ab einer Mindest-Belegschaft von dreissig Angestellten Euro-Subventionen bekommen können. Und weil die Fabrik die dringend braucht, um weiterhin Arbeitsplätze anbieten zu können.

Aber rationale Argumente funktionieren bei den meisten Menschen in diesem Film nur noch bedingt. Dafür ist zu viel Unsicherheit im Spiel. Schafe verschwinden aus Ställen, Papa Otto, dem deutschsprachigen Vater von Matthias wird nach einem MRI ein Gehirntumor attestiert, und der kleine Rudi weigert sich weiterhin, zu sprechen.

Mungiu hat einen präzisen, angsteinflössenden Film über kollektive und individuelle Angst in einer sich auflösenden Gemeinschaft gemacht. Die ökonomischen und politischen Zusammenhänge, die dabei aufscheinen, werden eben so vorurteilslos dargestellt, wie die Vorgänge unter den Menschen, die von Zuneigung und Hilfsbereitschaft innert Sekunden zu Gewalt und Wut kippen können, und wieder zurück.

Die unauflösbare Unlogik, welche gleichzeitig fremde Arbeiter in den eigenen Reihen nicht dulden mag, während der grösste Teil der Bevölkerung Arbeit und Auskommen ebenfalls in der Fremde sucht, ist nur eines der Paradoxa, welche sich durch diesen Film ziehen

Dass dabei ausgerechnet die beiden jüngeren, gebildeteten Frauen, Csilla und die Fabrikbesitzerin, die offensten und klarsichtigsten und dabei auch herzlichsten Figuren sind ist wohl nicht nur programmatisch, sondern auch realistisch.

Als Mann zwischen den Frauen und den Ereignissen ist Matthias so sehr verunsichert, dass er gar Angst hat, die Mutter seines Sohnes würde diesen lebensuntüchtig machen mit zu viel Rücksicht auf seine Traumatisierung. Gleichzeitig ist er überfordert von der Souveränität von Csilla, die dann auch wieder ihre Grenzen erreicht.

R.M.N. ist ein hochspannender, eindrücklicher Film, der in seiner Konsequenz zunächst frustriert, aber dafür wirklich auch im Kopf weiterdreht.

Cristian Mungiu

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