DECISION TO LEAVE von Park Chan-Wook

Prix de la mise en scène 2022

Park Hae-il und Tang Wei in ‚Decision to leave‘ © CJ Entertainment

Fast zwanzig Jahre liegt Park Chan-Wooks Old Boy nun zurück. Der Rachethriller war Teil einer Trilogie. Danach hat Park immer wieder Filme gemacht, die sich bei Klassikern bedienten, bei koreanischen wie mit dem schwelgerischen, raffinierten The Handmaiden, oder bei der klassischen «Gothic-Novel» wie Stoker.

Decision to leave (Heojil kyolshim) ist nun gar ein Mix aus Formaten, aber ein schöner, herzlicher, melancholischer, von tragischer Liebe durchtränkt.

Park Hae-il in ‚Heojil kyolshim‘ © CJ Entertainment

Formal ist das ein klassischer Noir-Plot, in dem sich der Detektiv in eine schöne, gefährliche, undurchsichtige Frau verliebt, gegen die er eigentlich ermittelt. Aber gleichzeitig ist die Hauptfigur, der von Park Hae-il gespielte Polizist ein liebenswerter, freundlicher, durch und durch aufrichtiger Menschenfreund, eine Art Maigret mit Charme und Insomnia.

Und das Spiel, auf das er und die von Tang Wie gespielte chinesische Ehefrau eine toten Koreanischen Migrationsbeamten sich einlassen, erinnert oft mehr an Hamaguchis Drive My Car vom letzten Jahr, als an Genre-Klassiker wie The Maltese Falcon.

Tang Wei © CJ Entertainment

Untersucht wird der tödliche Absturz eines Kletterers. Dessen Leiche liegt malerisch im Gras unter dem markanten Felsen, die Kamera umkreist den Körper, zeigt die Ameisen, die über die geöffneten Augen krabbeln – und dann, in einer dieser absolut verblüffenden Park Chan-Wook-Einstellungen, ganz kurz eine Ameise aus der Perspektive vom Inneren des Auges. Die bisher originellste Variation des längst zu Tode gerittenen Blickes aus dem geöffneten Kühlschrank heraus auf die jeweiligen Protagonisten.

Wenn der Detektiv mit seiner Frau schläft, die er nur am Wochenende besuchen kann, weil sie iin einer Provinzstadt im Atomkraftwerk arbeitet, fällt sein Blick auch schon mal auf seinen eigenen Arm auf der Bettoberfläche, mit einem Röntgeneffekt, er sieht seine eigenen Knochen wie jene auf den vielen Fotos zu ungelösten Fällen in seinem Büro.

Park Hae-il und Tang Wei in ‚Decision to leave‘ © CJ Entertainment

Der schönste Einfall ist aber der, dass der Mann sich beim Beobachten der verdächtigen Witwe immer wieder in ihre Gegenwart versetzt. Er sieht sich mit ihr im Raum, auch wenn er nur von weitem durchs Fenster blickt, er spricht direkt mit ihr, obwohl er sie bloss angerufen hat.

Und sie fotografiert ihn mit liebevollem Lächeln, als sie ihn schlafend in seinem Auto vor ihrer Haustür entdeckt, weil er, der Schlaflose, auf seinem Beobachtungsposten in seine Träumereien von ihr abgetaucht ist.

Park Hae-il und Tang Wei in ‚Decision to leave‘ © CJ Entertainment

Die Plot-Struktur mit den Verdachtsmomenten, der Entlastung und der erschreckenden Umkehr der Annahmen im letzten Moment bilden das Drahtgeflecht, auf das Park die Blumen seiner Imagination aufbringt.

Und dann, wo der klassische Plot sein tragisches Ende finden würde, dreht dieser Film noch einmal eine Runde und erinnert auch da wieder an Drive my Car.

Mit seinem meisterhaften Umgang mit den Genre-Konventionen und Versatzstücken gelingt Park Chan-Wook einmal mehr ein unvergesslich schwärmerisches, melancholisches Bild menschlicher Beziehungstragik. Und wie immer stellt sich die Frage, ob mit Ehrlichkeit und Offenheit die Tragödie hätte abgewendet werden können. Und falls ja, ob wir uns den Film dann überhaupt hätten ansehen wollen.

So wie er ist, will ich ihn wieder und wieder sehen.

 

 

 

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