Fast alle Filme von Valeria Bruni Tedeschi sind autobiografisch gefärbt, mittlerweile kennen wir das filmische Universum der Tochter aus reichem Haus, der Schwester von Carla Bruni, jener liebenswerten, schusseligen, zu sanfter Hysterie neigender Figur, die sie für sich perfektioniert hat.
Selbstironie war immer schon eine ihrer Waffen im Kampf gegen das Stigma der reichen Erbin, am deutlichsten hat sie das gemacht mit ihrem ersten Langspielfilm Il est plus facile pour un chameau… (2003). Da war schon der Titel mit dem Bibelzitat, dass es einfacher sei für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu gehen, als für die Reichen ins Gottesreich.
Ihr fünfter Film ist nun ein richtiges Nostalgiestück. Die Filmemacherin spielt sich auch nicht selbst hier, denn es dreht sich um ihre Zeit an der Schauspielschule von Patrice Chéreau in Nanterre, am Théâtre des Amandiers.
Das spielt in der Mitte der 1980er Jahre, das letzte Jahr ist markiert von Aids-Angst unter den Schauspielschülerinnen und vom Reaktorunfall in Tschernobyl. Davor aber liegen Monate und Monate jugendlicher Begeisterung für das Theater und die totale Hingabe an das Lebensgefühl.
Der Film setzt ein mit den Aufnahmeprüfungen und ist vom ersten Moment an ansteckend komisch. Der Enthusiasmus dieser jungen Frauen und Männer wird zugleich anerkannt und in seinem pubertären Überschwang persifliert.
Mit entblössten Brüsten und fiebriger Selbstvergessenheit stürzt sich Stella, das junge Alter Ego der Regisseurin, im Vorspiel in eine Szene als Prostituierte, einer der jungen Männer kommt schon mit Ketchup übergossen in den Raum und ist nicht mehr zu bremsen und ein Paar versinkt so sehr im Bühnen-Kuss, dass das sanfte «Danke, das reicht» des Bewertungskomitees nicht mehr bei den beiden ankommt.
Nadia Tereszkiewicz ist sensationell gut als Stella. Sie bringt die schauspielerische Persönlichkeit von Valeria Bruni Tedeschi so überzeugend auf die Leinwand, dass es manchmal fast weh tut. Denn da schwingt ja immer auch der Blick der Autorin und Regisseurin auf sich selbst mit. Und das zwar liebevoll, aber ohne Gnade für die einstige eigene jugendliche Naivität.
Im Übrigen ist der ganze Film nicht nur eine Hommage (und ein bisschen auch eine späte Rache) an den verstorbenen Patrice Chéreau, der keineswegs überhöht wird hier. Louis Garrel spielt ihn sehr ernsthaft, sehr aufbrausend und zuweilen urkomisch verkantet.
Wie alle Filme von Bruni Tedeschi ist auch das ein Familienfilm. Noémie Lvovsky, die Freundin aus jener Zeit aus der Schauspielschule hat am Drehbuch mitgearbeitet. Léna Garrel, die Tochter der Regisseurin mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Louis Garrel spielt mit, und auch Suzanne Lyndon, die Tochter von Sandrine Kiberlain and Vincent Lindon.
Was wiederum zu familiären Komplikationen führen könnte. Schliesslich ist Vincent Lyndon der amtierende Jurypräsident dieser 75. Festivalausgabe in Cannes, in deren Wettbewerb der Film läuft.
Les Amandiers reiht sich wunderbar ein unter die Theaterfilme wie etwa Andres Veiels Die Spielwütigen oder Nicolas Wackerbarths Satire Casting. Und in der Reihe der bisherigen Wettbewerbsfilme in Cannes ist das derjenige, der die beste Laune macht – obwohl Bruni Tedeschi die tragischen und traurigen Momente ihrer Anfangszeit als Schauspielerin keineswegs ausblendet.