HOLY SPIDER von Ali Abbasi

‚Holy Spider‘ © Profile Pictures

Ali Abbasi kam 1981 im Iran zur Welt. Als Student zog er nach Stockholm und studierte dort Architektur, danach absolvierte er die Filmschule in Dänemark. Mit seinem Erstling Shelley wurde er an die Berlinale eingeladen und sein fantastischer Troll-Film Gräns (Border) brachte ihm 2018 den Preis von „Un certain regard“ in Cannes ein. Und eine weltweite Fangemeinde.

Das Spiel mit dem Genre-Kino führt er weiter, auch wenn er grundsätzlich keine Lust bekundet, einem bestimmten Stil oder Filmtypus treu zu bleiben.

Die Geschichte des iranischen Prostituiertenmörders Saeed Hanaei, der nach der Jahrtausendwende in der Pilgerstadt Mashhad sechzehn Prostituierte umbrachte, auf einem persönlichen religiösen Feldzug, sollte nach dem Erfolg von Gräns ein kleiner, persönlicher Film werden, eine vorübergehende Rückkehr ins Geburtsland auch.

Zar Amir-Ebrahimi © Profile Pictures

Abbasi sah den Dokumentarfilm And Along Came a Spider ( و عنکبوت آمد) von Maziar Bahari und war nicht nur von der Figur des Mörders schockiert und fasziniert, sondern vor allem vom Umstand, dass dieser zu einer Art Volksheld wurde, dass seine Taten zwar gerichtlich geahndet und der Mann gehängt wurde, dass aber innerhalb des iranischen Gottesstaates genügend offene Misogynie herrschte und herrscht, dass er nicht nur selber von der Gerechtigkeit seines Tuns überzeugt war, sondern auch viele Iranerinnen und Iraner.

Rahimi (Zar Amir-Ebrahimi) © Profile Pictures

Abbasi schrieb das Drehbuch und machte aus einer Journalistin, welche den Fall begleitet hatte, seine Hauptfigur. Diese Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) ist im Film zentral. Sie bildet nicht nur ein moralisches Zentrum, sie ist auch selber dauernd der Frauenverachtung ihrer Gesellschaft ausgesetzt. Zumal sie sich aktiv auf die Suche nach dem Killer macht.

Die Szenen, in denen Rahimi zunächst subtil, dann aber auch ziemlich handfest mit Frauenhass und Frauenverachtung zu kämpfen hat, gehören zu den stärksten dieses Films. Nur schon, als ihr der Hotelconcierge das voraus gebuchte Zimmer verweigern will, weil eine allein reisende Frau schlicht nicht in sein Weltbild passt, lässt im Kinosaal den Wutpegel steigen. Ganz zu schweigen von der sexistischen Anmache und Übergriffigkeit, die sie bei der lokalen Polizei dann erfährt.

© Profile Pictures

Ali Abbasi hat einen harten, beeindruckenden Film gedreht, in Jordanien. In Iran bekam er keine Dreherlaubnis, in der Türkei wurde sie vom iranischen Staat offenbar nach der Genehmigung hintertrieben und zurückgezogen.

Holy Spider erinnert nicht von ungefähr entfernt an Finchers Zodiac, auch wenn sich Abbasi jeglicher Mystifizierung enthält. Der Mörder ist zwar eine Hauptfigur, wie die Journalistin. Aber in ihrer beidseitigen Aufrichtigkeit und mit ihrer jeweiligen Überzeugung, für das Richtige einzustehen, sind sie trotz allem vereinfachte Antagonisten.

Mehdi Bajestani (Saeed), der Killer. Oder der Held des Volkes. © Profile Pictures

Der wahre Horror, den der Film vor allem am Ende ausmalt, ist die grundsätzliche Misogynie in einem klerikal dominierten Staat, welche die ganze Gesellschaft erfasst. Wenn der junge Sohn des Killers mit seiner kleinen Schwester demonstriert, wie ihr Vater, der Held, in der Familienwohnung jeweils die Frauen erwürgt, verpackt und dann mit dem Motorrad entsorgt hat, ist klar, dass das vollstreckte Todesurteil an Saeed (an das die Journalistin nicht ohne Grund bis zum Schluss nicht glaubt) keinen Schlusspunkt darstellt.

Lokaltermin im Gefängnis © Profile Pictures

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