PACIFICTION von Albert Serra

Benoît Magimel © Anderground Films

Man stelle sich das allererste James-Bond-Kinoabenteuer Dr. No als Gletscher vor. Nein, das ist das falsche Bild, schliesslich spielt Albert Serras auf französisch Tourment sur les îles genannter Film auf Tahiti, in französisch Polynesien, in tropischer Hitze.

Aber eben: Gaaaanz langsam. Also: Dr. No als Lavastrom in Zeitlupe.

Dazu ein wenig von The Honorary Consul, und all den Filmen, in denen Menschen einander in tropischen Ländern umlauern und ausspionieren.

Damit haben wir die 165 Minuten von diesem Film immer noch nicht adäquat umschrieben, aber das Gefühl, das sich im Kino einstellt.

Benoît Magimel ist der französische Diplomat, der in diesem Inselreich die Fäden zusammenhält. Das geplante Casino, das Steuereinnahmen bringen soll, muss er gegen religiöse Gruppierungen verteidigen, die unter anderem den Indigenen der Inseln den Zutritt verwehren wollen. Ob aus protektionistisch-rassistischen Artenschutzgründen, oder, wie der Diplomat vermutet, um die eigenen Gottesdienste nicht weiter zu entvölkern, bleibt offen.

Dafür sind die Drohungen recht konkret, welche einer der Religionsvertreter bekommt. Vom Diplomaten, der offensichtlich mehr Mittel im Ärmel hat, als reine Diplomatie.

Erinnert nicht von ungefähr an ‚Apocalypse Now‘: Benoît Magimel (im weissen Anzug) in ‚Pacifiction‘ © Anderground Films

Die grosse Angst des Mannes und der Inselbevölkerung löst allerdings der französische Staat selbst aus, mit einem U-Boot-Admiral und seiner Village-People-Matrosen-Truppe, welche offenbar neue Atomtests vorbereiten. Dabei sind die Nachwirkungen der alten noch nicht überwunden.

Serras unendlich langsamer Film hat alle Ingredienzien für einen bondartigen Thriller. Alkohol und Nachtclubs, Tänzerinnen und Tänzer, Folklore, eine Erfolgsautorin im Alkohol, ein eigenartiger Typ mit portugiesischem Akzent, der möglicherweise für die Russen arbeitet. Und ein CIA-Agent undercover, der Sonnenbrille trägt, auch wenn es dunkel ist.

Die wollen auch keine Atomtests. Eigentlich will niemand Atomtests. Ausser dem kleinen Admiral.

Es gibt Motorboote und Jetskis, Surfer und riesige Wellen, einen schönen Ladyboy, dessen Loyalität nie ganz klar wird, Flugzeuge, U-Boote und die hinreissende Insellandschaft… as Bond as can be.

Aber keine Action. Dafür Exkurse, exquisite Diskussionen, Andeutungen, geistreiche Auseinandersetzungen mit Kultur und Politik.

Albert Serra hat einen weiteren Genre-Film gemacht, der nie liefert, was das schlichtere Gemüt sich erhoffen würde. Dafür aber alles andere.

Dafür gibt es ein Publikum, an Festivals, in Retrospektiven, in spezialisierten Reihen. Und in Filmseminarien. Und wer Benoît Magimel mag, kommt hier auch sehr auf seine oder ihre Rechnung.

Politik ist schmutzig, das Paradies ist längst geostrategisch unterwandert, und vielleicht hilft ja tatsächlich nur die Zündung einer Versuchs-Nuklear-Bombe, um all die Ränkespiele zu stoppen.

Der kleine Admiral zündet jedenfalls das grosse Pathos und behält die Oberhand.

Die Diplomatie bleibt zurück und auf der Strecke. Pacifiction.

Albert Serra

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