SKAZKA (ска́зка / Fairy Tale) von Alexander Sokurov

© Intonations

Handwerklich ist Sokurovs neuester Film recht ansprechend. Ein animiertes Kompositum aus hunderten von Dokumentarfilmaufnahmen von Stalin, Hitler, Mussolini, Churchill und etlichen mehr, die sich in einer schwarzweissen Vorhöllenlandschaft tummeln, die ihrerseits von Gustave Dorés Dante-Illustrationen inspiriert ist.

Zu Beginn wacht der tote Stalin neben dem toten Jesus auf und beide beklagen sich ein wenig. Nur schon die Frage, was ausgerechnet Jesus da verloren hat, treibt vor allem Stalin um. Er macht sich lustig über Gottes Sohn.

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Bald tauchen auch Hitler und Churchill auf, und von beiden werden es zunehmend mehr, die von sich gegenseitig als von ihren Brüdern reden.

Überhaupt reden alle dauernd, keiner hört wirklich zu und was sie möchten und warum sie da sind, interessiert auch niemanden.

Neben der technisch schön gemachten Animation und den zum Teil abstrusen Sätzen, welche den diktatorischen Widersachern da in den Mund gelegt werden, fallen auch Details ins Auge.

Etwa eine Toilette an einer Felswand, zu der gleich drei sehr hochgelegene Spülkästen ihre Leitung führen. Später, als Hitler auf eben diesem Topf sitzt, ist dann auch klar, warum.

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Aber leider sind die komischen Details eher dünn gesät, angesichts der versammelten Niedertracht und Völkermordverschuldung vielleicht angemessen dünn.

Aber da steckt auch ein zentrales Problem dieser 78 Minuten: Die multiplen Diktatoren / Gegenspieler haben Gesichter, überraschend viele sogar, weil die Dokumentarfilmaufnahmen von ihnen aus ganz verschiedenen Epochen stammen.

Hitler ist mal verhärmt und verkrümmt, dann wieder voll im Saft. Churchill steht als junger Wüstenkommandant neben seinem alten Prime-Minister und selbst Mussolini wirkt nicht immer furchteinflössend lächerlich, sondern manchmal ganz menschlich, etwa wenn er auf die Leiche seiner selbst und seiner Frau blickt und das kommentiert.

Das «Volk» dagegen, das vor allem Hitler und Stalin immer wieder ansprechen, das bleibt eine anonyme fliessende Masse, allenfalls redet einmal ein halbverwester Soldat aus dem Schlamm des Schützengrabens drohend herauf – ohne ein Gesicht oder eine Persönlichkeit zu bekommen.

Das alles ist interpretationsfähig; ein eigener Höllenkreis für diese Klientel vielleicht gar keine abwegige Idee. Und wenn dann Churchill gar vor die Himmelspforte gelangt und eingelassen wird, stellen sich auch wieder weitere Fragen. Das ist ganz anregend.

Aber am Ende bleibt das Gefühl, einem altmodischen Karussell zugeschaut zu haben, wie es sich dreht und dreht und nirgendwo hinführt.

Bis man dankbar merkt, dass der Film jetzt zu Ende ist und man diese eigenartige Hölle jetzt verlassen darf.

Alexander Sokurov

3 Antworten auf „SKAZKA (ска́зка / Fairy Tale) von Alexander Sokurov“

  1. Lieber Herr Sennhauser herzig wie sie den Film beschreiben, mehr Tiefgang und vielleicht die Frage warum ein Film mit diesen Diktatoren in der Vorhölle? Haben sie die Diskussion mit Samkararov mitverfolgt im Spazio Cinema nach der Vorführung?

  2. Liebe Rita, nein, die Diskussionen finden ja meist einen Tag nach der Pressevorführung statt, da bin ich schon wieder in einem anderen Film. Natürlich ist das schade. Aber meine ersten Eindrücke entstehen im Kino. Und diese kleinen Texte haben darum auch keinen endgültigen Anspruch, dazu entstehen sie viel zu spontan.

  3. Lieber Michael diese Möglichkeit Fragen zu stellen und präzise Antworten zu bikommen nach so eindrücklichen Filmen ist Locarno Festival und soll auch erwähnt werden unter anderm war auch Vittorio Sgarbi dabei, Italien findet den Weg wieder nach Locarno…..

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