HUMAN FLOWERS OF FLESH von Helena Wittmann

Human Flowers of Flesh © Fünferfilm – Shellac

Nach einer Stunde wird die Leinwand plötzlich blau. Die Kamera taucht tief ein, gelegentlich blitzt noch etwas, und schliesslich taucht auf dem Meeresgrund ein viermotoriges Propellerflugzeug auf, ein völlig überwachsenes Monster aus wahrscheinlich nicht gar so alten Zeiten.

Helena Wittmann malt mit Einstellungen und mit Textfragmenten. Die fünf Menschen in den Küstenfelsen, auf ihrem Weg zu einem verankerten schönen Zweimaster, sehen wir zuerst nur als Füsse mit unterschiedlichen Schuhen, dann von weitem, wieder von Nahem, durch Büsche.

Figuren in der Landschaft.

Sie bleiben es auch. Landschaft gibt es überall und die Wüste sei das Meer des Fremdenlegionärs, heisst es im romantisierend-melancholischen Fremdenlegionärslied, das bald einmal zu hören sein wird.

Angeliki Papoulia © Fünferfilm – Shellac

Ida (Angeliki Papoulia) ist mit ihrer Jacht und einer fünfköpfigen Mannschaft unterwegs übers Meer von Marseille nach Algerien, zum Hauptquartier der französischen Fremdenlegion.

Das wird nie erklärt, das lässt sich nur erahnen. Denn die Gedichte und Briefe, Texte und Ideen, welche vorwiegend von Idas Mannschaft vorgetragen, übersetzt, kontempliert oder auch bedeutungsgeschwängert werden, drehen sich alle um die Fremdenlegion.

© Fünferfilm – Shellac

Da sind Passagen von Friedrich Glauser zu hören, Gedichtfragmente, und das landet dann in einem Album.

Das ist kein erzählender Film, sondern eher eine Verführung zum Halluzinieren. Oder zum Kontrollverlust im Tiefschlaf, wie die Filmemacherin im Pressetext des Festivals zitiert wird.

Grosse Filmkunst, zweifellos. Die Einstellungen sitzen, Zufall gibt es nicht, aber Repetition mit Variation. Vage Gefühle von Sehnsucht und Trauer. Was fehlt, ist allerdings ein winziger Hauch von Humor. Der ganze gekonnte Kunstwille hat einen verbissen anthroposophischen Einschlag.

Ida schwimmt immer wieder im Meer, bringt Funde aus dem Wasser, Pflanzenteile.

Ein Bauprinzip dieses Films scheint dieses Zusammentragen von Zufallsfunden zu sein, die sich dann irgendwie zu etwas fügen, das nie ganz greifbar wird.

Die Heimatlosigkeit der Fremdenlegionäre, welche ihnen zur Heimat wird. Das ist so lyrisch wie schwer zu greifen. Hinter all dieser Schönheit steckt Sehnsucht und Trauer.

Angeliki Papoulia © Fünferfilm – Shellac

Lachen gibt es nicht. Einmal, gegen Ende des Films, lächelt Ida dankbar den Kellner an, der ihr einen Kaffee gebracht hat.

Dann folgt sie auf der Strasse Denis Lavant im Fremdenlegionärs-Pensionärslook, vorsichtig, mit Abstand. Bis der sich auf den Fersen umdreht und sie, beziehungsweise die Kamera, direkt anblickt.

«Ihr seid überall!» sagt sie später in seiner Wohnung, als er ihr ein Glas Cola einschenkt und eine Zigarette anbietet. «C’est vrai. Nous sommes partout», ist seine Antwort. Ausser in Frankreich, denn das Land fürchtet sich vor dem Blues seiner Legionäre. Aber das ist bereits wieder eine Liedzeile.

Ach, und dann gibt es, ziemlich genau in der hundertsten Minute des Films, doch noch einen Moment von comic relieve, total unerwartet nach all der verbissen melancholisch imaginierten Schönheit:

Denis Lavant jongliert mit Eiern, die er für seinen Gast in die Pfanne hauen will. Und eines fällt zu Boden.

«Merde!»

Human Flowers of Flesh ist hochkontrollierte Filmkunst (ein wenig paradox im Hinblick auf die Faszination der Filmemacherin für Kontrollverlust), eine eindrückliche Demonstration, was mit diesem Medium auch zu machen ist, jenseits von Erzählkinokonventionen.

Aber das ist auch ein Film, dem man nicht so schnell den nächsten folgen lassen möchte.

Ich jedenfalls möchte nun tatsächlich lieber für ein paar Tage an Deck einer schönen Jacht mit einer einfühlsamen Mannschaft übers Mittelmeer fahren und mir überlegen, was es in dieser Welt denn noch zu lachen gäbe. Gibt es nichts zu lachen, bleibt uns ja immer noch die Schönheit.

Helena Wittmann © Sinje Hasheider

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