GIGI LA LEGGE von Alessandro Comodin

Spezialpreis der Jury, Locarno 2022

Pier Luigi Mecchia © Okta Films / Shellac

Minimalistisch im Aufwand, das wird bei diesem Film von der ersten Einstellung an programmatisch signalisiert. Pier-Luigi steht im Dschungel seines Gartens im Halbdunkel vor einer Palme und streitet mit dem Dickicht.

Aus dem Gestrüpp kommt die Stimme des Nachbarn, der sich darüber beklagt, dass Pier-Luigis Garten ein «Casino» sei, ein Saustall. Und dass er endlich die Bäume zurückschneiden solle.

Pierluigi Mecchia © Okta Films / Shellac

In den nächsten Sequenzen sehen wir den von den Kollegen und Freunden Gigi genannten Polizisten im Streifenwagen auf Patrouille. Und auch da ist der inszenatorische Aufwand auf ein Minimum beschränkt. Der Streifenwagen hält bei einem Bahnübergang, weil da ein Fahrradfahrer steht und nach rechts auf die Gleise guckt. Da liege ein Toter, sagt er.

Da liege tatsächlich ein Toter, sagt Gigi nach einem Kontrollgang. Zu sehen bekommen wir ihn nicht. Überhaupt bekommen wir herzlich wenig zu sehen in diesem Film, wir hören vor allem Pier-Luigi Mecchia in seiner Polizistenrolle zu.

© Okta Films – Shellac

Comodin dreht in der Landschaft seiner Heimat Friaul und auch im Dialekt, was dabei hilft, die manchmal allzu alltagstauglichen Dialoge interessanter zu machen. Gigi flirtet über Funk mit der neuen Dispatcherin, lädt sie schliesslich zum Essen ein – ohne dass wir wissen, ob das stattfindet.

© Okta Films / Shellac

Gigi lässt sich von einer älteren Kollegin zurechtweisen für seine provokative Gutmütigkeit gegenüber dem «Fasan» genannten Vorgesetzten. Es gehe nicht, einfach zu lachen, wenn ihn dieser zusammenstauche. Und es gehe auch nicht, dass Gigi den jungen Tomaso dauernd im Auge behält, auf blossen Verdacht hin und ohne Auftrag.

Im Verlauf des Films wird der Kameraaufwand unmerklich grösser, es gibt im Polizeiauto Schnitt und Gegenschnitt, wenn Gigi mit einem Partner oder einer Partnerin unterwegs ist. Aber nicht immer und vor allem nicht immer sofort. Oft sehen wir ihn einfach reden und hören die Person auf dem Nebensitz.

Manchmal sitzt dann auch nicht die Person auf dem Nebensitz, die man erwartet hätte. Oder der Gegenschuss entpuppt sich als stummer Kommentar, zu dem, was Gigi eben gesagt hat.

Und einmal, gegen den Schluss des Films, stellt sich erst nach längerem Wortwechsel heraus, dass Gigi nicht mit der Partnerin auf dem Nebensitz gesprochen hat, sondern mit einer jungen Frau auf dem Rücksitz, welche die beiden in die psychiatrische Klinik fahren. Das gibt den fast fünf Minuten Dialog während der Fahrt im Rückblick eine komplett andere Bedeutung, als vor der Klinik nicht wie erwartet zwei Menschen aus dem Auto aussteigen, sondern eben drei.

Gigi ist «der Polizist», den wir aus Kindergeschichten kennen. Der gutmütige, grosszügige Freund und Helfer in der Nachbarschaft, der alle kennt und den alle kennen. Und gleichzeitig hat der Film eine sehr realistische Komponente, gestützt und gepolstert von der surrealen dichten Dschungellandschaft von Gigis Garten.

Das ist der dritte Film von Alessandro Comodin, aber vor drei Jahren war hier in Locarno auch eine seiner Arbeiten als Schnittmeister im Wettbewerb, der ziemlich hinreissende Technoboss von João Nicolau.

Gigi la legge ist ein liebenswerter Film mit liebenswerten Figuren und immer wieder angedeuteten Problemen, die ihn deutlich über die saftwurzlige Charakterkopfebene hinausheben.

Dass fast hundert Minuten dann vielleicht doch eine Viertelstunde zu viel sind, mag im Festivalkontext deutlicher auffallen als an einem normalen Kinoabend.

Das Schönste an diesem Film ist aber sein Beweis, dass mit minimalem Aufwand eine Welt erschaffen werden kann, die einem sehr schnell angenehm bekannt und vertraut vorkommt.

Alessandro Comodin © Massimo Nicolaci

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