REGRA 34 von Júlia Murat

Pardo d’oro, Locarno 2022

© Esquina Filmes

Der Filmtitel bezieht sich auf ein Internet-Meme, auf eben diese Regel Nummer 34, welche besagt, dass es von allem, was es gibt, auch eine Porno-Version gebe.

Regel 35 ergänzt das um den Zusatz, dass die Porno-Version dort, wo sie noch nicht existiert, gerade im Entstehen begriffen sei.

So verspielt Júlia Murats Filmtitel daherkommt, so verspielt gibt sich auch ihre Heldin, die 23jährige Jura-Studentin Simona in Brasilien. In der Titelsequenz sehen wir sie bei einem Auftritt als freizügiges Cam-Girl vor ihrem Laptop. Ob sie das nur zum Vergnügen macht, oder auch, um Geld zu verdienen, wird nie ganz klar.

© Esquina Filmes

Aber nach ein paar Schnitten sehen wir die gleiche Simona seriös gekleidet im Seminar an der Uni. Sie ist mit einer Gruppe weiterer junger Menschen daran, die praktische Rechtsausbildung zu absolvieren. Und sie ist engagiert in einer juristischen Hilfsgruppe für benachteiligte, geschlagene oder sonst wie unter Gewalt leidende Frauen.

Der Ton wird schnell überraschend engagiert und intellektuell. Mit dem Professor wird das Gewaltmonopol des Staates diskutiert, vor allem im Hinblick auf das Strafgesetz.

Dass dieses die Herrschaftsverhältnisse nicht nur spiegelt, sondern auch festigt, darüber sind sich fast alle einig. Was dagegen unternommen werden könnte, und inwiefern Rassismus, Sexismus und Machismo zu den wesentlichen Faktoren gehören, darüber wird engagiert diskutiert, nicht nur im Seminar.

© Esquina Filmes

Parallel dazu lebt Simona mit ihrer WG-Freundin und dem WG-Freund eine fröhlich verspielte erotische Nähe, die zuerst beim Selbstverteidigungstraining zwischen den beiden Frauen zu ersten Irritationen führt.

Simona mag es rauh, merkt sie zu ihrer eigenen Überraschung. Und das steigert sich im Verlauf des Films, bis am Ende ein von ihr eingeladener Mann vor der Tür steht, von dem wir nicht mehr erfahren, ob sie ihn einlässt.

Was diesen Film faszinierend macht, ist die kluge Gegenüberstellung von persönlicher Selbstbestimmtheit und jener, welche die Gesellschaft steuert, oder zulässt.

© Esquina Filmes

Wenn Simona ihre Freundin verärgert darauf hinweist, dass sie ein erwachsener Mensch sei und damit ihre Sexualität auch so ausleben könne, wie sie das möchte, leuchtet das ein. Aber der Zusatz: «Sorry, wenn Dir das in meinem Fall nicht feministisch genug ist» beleuchtet den eigentlichen Konflikt in der Diskussion.

Wie diese Argumentationsfigur funktioniert, zeigt ein Streit zwischen zwei Frauen an der Fakultät. Die eine meint, Frauen, die sich prostituieren, würden ausgebeutet, darum gehöre die Prostitution verboten. Worauf die andere sagt, das könne man mit dem gleichen Argument auch für Hausangestellte sagen.

Regra 34 ist ein verspielter, clever argumentierender Film mit klar provokativem Einschlag. Und wie bei Tengo sueños electricos ist nicht von der Hand zu weisen, dass es eindeutig eine Rolle spielt, dass dieser Film von einer Frau gemacht wurde. Genau weil er sich in diesem Bereich bewegt, wo die persönliche Freiheit nur so lange funktioniert, wie sie Übergriffigkeit im gegenseitigen Einvernehmen für verhandelbar erklärt.

Julia Murat © Andre Mantelli

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