LE GRAND CHARIOT von Philippe Garrel

Francine Bergé, Louis Garrel, Aurelién Recoing © Benjamin Baltimore / 2022 Rectangle Productions – Close Up Films – Arte France Cinéma – RTS Radio Télévision Suisse – Tournon Films

Philippe Garrel inszeniert seine drei Kinder in einem Film um eine Künstlerfamilie, mit einem antiromantischen Impetus, der gleich wieder umschlägt ins Lob der Kunst, die sich bewegt. 

Schausteller sind sie, Saltimbanques, Puppenspieler, der Vater (Aurélien Recoing) als Alter Ego des Regisseurs, seine Töchter Martha (Esther Garrel) und Léna (Léna Garrel) und ihr Bruder Louis (Louis Garrel). Zusammen mit der Grossmutter (Francine Bergé) und mit Hilfe von Louis‘ bestem Freund Pieter (Damien Mongin) halten sie das Puppentheater am Leben, das die Familie schon seit Jahren betreibt, auf Tour und vor Ort.

Das muss eines der letzten Drehbücher sein, an dem der verstorbene Jean-Claude Carrière noch mitgeschrieben hat. Und das ganze Projekt ist offensichtlich eine Familien- und Freundschafts-Kollaboration, mit Caroline Deruas-Garrel, Philippe Garrel und Arlette Langmann als Co-Autoren.

Wie immer, wenn der französische Kino-Adel sich selbst inszeniert, ist die Versuchung gross, alles biografisch und authentisch zu sehen. Und in der Regel trifft sich da ja auch einiges.

Dass Louis Garrel unterdessen als Schauspieler und als Regisseur eine eigene Grösse geworden ist, wie der Louis in diesem Film schliesslich, mag als Gradmesser der Authentizität herhalten, auch was die anderen Figuren angeht.

Muss aber nicht. Denn denn dass Freund Pieter als glückloser Maler in der Klinik landet, nachdem Louis sich in die Mutter seines Kindes verliebt hat, die er gleich nach der Geburt für eine andere junge Frau verlassen hat, die eine Weile bei den Puppenspielern ausgeholfen hat und die ihn dann schliesslich wieder verlassen wird, weil er sich in einen Mal-Eifer steigert, der sich jeder ökonomischen Realität verweigert…

…das muss genau so wenig eins zu eins aus der Realität kommen wie der barbusige Protest im Pussy-Riot-Femen-Gefolge der einen Schwester, der die altkommunistische Grossmutter ein wenig schockiert, aber auch beeindruckt.

Sicher noch nicht eingetroffen ist der Tod des Vaters, der die Truppe im Film schliesslich auseinanderdriften lässt. Dafür aber die Eigenständigkeit der Familienmitglieder und ihre Verbundenheit.

Wenn Sohn Louis nach dem Tod des Vaters das Feuer für die Puppenspielerei verliert und zur Bühne geht, ist das vielleicht eine nachträgliche Absolution des berühmten Vaters für den unterdessen noch berühmteren Sohn. Wenn der tote Vater seiner Tochter in einem Albtraum am Küchentisch erscheint und sie davor warnt, die Familientradition ebenfalls zu verraten, dann ist das ganz sicher ebenso ironisch wie familienkathartisch.

Was diesen Film aber wirklich ausmacht, ist die Tatsache, dass er ohne all diese Bezüge ganz allein für sich bestehen kann, als Geschichte gelebter Künstlerschaft im Bewusstsein, dass nur die Veränderung die Kunst am Leben hält.

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