VERA von Tizza Covi und Rainer Frimmel

Vera Gemma und Asia Argento © Vento Film

In der schönsten Szene dieses unkategorisierbaren Filmes stehen Vera und Asia auf Römer Friedhof «Cimitero acattolico» vor dem Grab von Goethes Sohn.

Da steht tatsächlich auf dem Grabstein: «Goethe Filius». Kein weiterer Name, nichts zu seinem Leben, ausser, dass ihn der berühmte Vater überlebt hat: «Goethe Filius Patri Antevertens Obiit»

Die beiden Frauen können es nicht fassen.

Und die Kinozuschauer auch nicht. Denn Vera und Asia sind Freundinnen seit ihrer Kinderzeit. Veras Vater Giuliano Gemma war einer der grossen Stars des Italowestern, Asia Argentos Vater ist Dario Argento, Meister des Giallo.

Und der Dialog der beiden dreht sich denn auch genau um diese Last, immer «die Tochter von» zu sein. Vera meint, das habe ihr mehr Türen verschlossen als geöffnet. Und Asia betont, für sie sei es das Wichtigste überhaupt gewesen, sich einen eigenen Namen zu machen.

Vera hat es auch geschafft, aber zu einem hohen Preis, wie sie im Laufe des Films immer wieder erklärt. In Italien ist Vera Gemma ein Promi und seit ein paar Jahren auch ein Star gehobener Reality TV Formate.

Was wiederum auf den Film von Covi und Frimmel durchschlägt. Denn die beiden haben sich über Jahrzehnte einen Namen gemacht als effizientes und talentiertes Dokumentarfilmerpaar. Ihnen verdanken wir Einsichten in italienische Kleinzirkusdynastien und faszinierende Spiele zwischen Dokumentation und Fiktion.

Etliche ihre Filme waren unter anderem am Locarno Film Festival zu sehen. Etwa Mister Universo (2016) oder Der Glanz des Tages (2012).

So nahe am Spielfilm wie mit Vera waren sie aber noch nie. Das ist «gescriptete Realität», Tizza Covi hat ein komplettes Drehbuch geschrieben, mit Szenen aus dem Leben von Vera Gemma, nach deren Erzählungen. Erinnerungen aus einer Zeit, in der sie besonders verwundbar war, sich von anderen ausnehmen liess und mit ihrer Rolle im Leben besonders haderte.

So tritt Vera gleich mit dem Titel überlebensgross auf, mit einem sichtlich operierten Gesicht und in kaum verhohlener Einsamkeit, wenn sie einer jungen Barfrau ungefragt erzählt, in ihrer Familie habe stets ein Zwang zur Schönheit geherrscht und jetzt habe sie ihr eigenes Ideal gefunden: Transpersonen.

Rainer Frimmels dokumentarische Kamera macht dabei gerade bei Szenen, die ganz eindeutig nachgespielt sind, etwa einem Dialog im Bett zwischen Vera und ihrem jüngeren Liebhaber, einem Möchtegernregisseur, überdeutlich, dass hier nicht spontanes «cinéma vérité» entsteht.

© Vento Film

Das funktioniert nicht immer gleich gut, zumal nicht alle Darsteller so charismatisch und überzeugend sind wie Vera oder ihr Chauffeur. So entsteht eine eigenartige Mischung aus dokumentierter Realität und Neo-Neorealismus mit Laien, die sich selber spielen und Schauspielern, die andere verkörpern, die aber auch auf ihnen selber basieren.

Dass Veras Leben dramatische und melodramatische Phasen umfasst, die zu glauben man sich weigern würde, wären sie nicht so plausibel in der Figur verankert, macht diesen Film zu einer schillernden, bestaunenswerten und sehr eigenwilligen Reflexion über die Traumfähigkeit des Kinos, die auch Albträume nahtlos umarmt.

Ein sehr schönes und aufschlussreiches Interview mit den Filmemachern haben die Kolleginnen vom filmbulletin.ch

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