GRAND PRIX VISIONS DU RÉEL 2023
Die Filme des Kanada-Schweizers Peter Mettler sind visuelles Yoga. Entspannend spannend und einladend. Als Kameramann ist Mettler, so sagt er selbst, in jeder seiner Einstellungen präsent. Wer vor der Leinwand sitzt, wenn seine Bilder darüber fliessen, spürt auch genau das.
War etwa der tagebuchartige Gambling, Gods and LSD (2002, auf Playsuisse zu sehen) noch von vier Thesen (Mettler nennt sie «Filter») geprägt, ist sein jüngstes Werk noch stärker assoziativ, explorierend und neugierig.
Was hat es mit der Lebensweisheit auf sich, dass das Gras auf der anderen Seite stets grüner sei?
Das war die Frage, die am Anfang dieses neuen, wahrlich monumentalen Work in Progress stand. So hat es Peter Mettler gestern an der Weltpremiere der kombinierten Teile 1 und 6 von insgesamt 7 in Nyon erklärt.
Und gleich ergänzt, dass der Titel dieser 166 Minuten – eben While the Green Grass Grows – darum richtig sei, weil das Gras ja tatsächlich weiterwachse, während wir noch darüber nachdenken. Oder so ähnlich.
Denn das ist das wirklich Schöne an Peter Mettler und seinen Filmen: Da wird reflektiert und spekuliert, da raunt auch mal die Natur, oder der Dalai Lama erklärt auf Filmrollen, die Mettler vor Jahrzehnten aufgenommen hat, warum die Reinkarnation eine völlig natürliche Vorstellung sei…
…aber Mettler brütet nicht. Er predigt auch nicht, er nimmt sein Publikum mit auf seinen Ausflug und erinnert mit ziemlichem Schalk auch immer wieder daran, dass das so ist.
Da denkt er im klar gedrechselten Off-Kommentar darüber nach, was etwa den Kurs des Denkens wirklich fruchtbar verändert kann, während er im Bild am Klavier sitzt und improvisiert, in einem Raum mit lauter Fenstern mit Blick auf die Berge.
Und dann greift der Mettler im Bild auf den Tasten daneben und spricht die Antwort direkt in die Kamera: Die zufälligen falschen Töne.
Das ist eine Montage-Konstruktion, ein Bruch im Flow und damit ein Moment, der verhindert, dass sich das Publikum in Trance schaut oder schlicht einschläft.
Mettler erklärt im Film sehr früh einmal beiläufig, seine Hassliebe für die Filmerei. Er braucht sie, um mit der Welt etwas anzufangen. Er hält die Kamera auf seine Eltern, die altern und sterben.
Die Maschine, welche Nähe erzeugt und einfängt, sorgt gleichzeitig auch immer für Distanz. Dabei ist diese Maschine nicht nur die Kamera, sondern auch der Aufwand, den es braucht, um überhaupt Filme machen zu können. Die Suche nach Geld, der technische Aufwand.
Die Begegnung mit einer Mäzenin, welche ihm 50’000 Franken in bar übergibt, wird ebenfalls gefilmt, in kunstvoll künstlichem Setting, auf einem Dachboden, zwischen Familienerbstücken und gespiegelt, verdoppelt, während die Frau darauf hinweist, dass diese fünfzig Tausendernoten doch bloss abstraktes Papier seien, dass er wohl besser ein greifbares Bild suchen müsste, etwa den Jahreslohn eines Arbeiters, der am Aufbau des Reichtums ihrer Familie seinen Anteil hatte.
Dass er ausgerechnet Teil 1 und 6 des monumentalen Unterfangens als erste Publikumsbegegnung ausgewählt hat, hat damit zu tun, dass diese beiden Teile das Leben und den Tod seiner Mutter und seines Vaters im Zentrum haben. Damit seien sie narrativer als die anderen Teile.
Das sind sie wohl tatsächlich, die Begegnungen mit den alten Eltern, mit dem Tod der Mutter und dem Sterben des Vaters setzen emotionale Ankerpunkte für das Publikum, auch wenn auch alle anderen Elemente des Films einer chronologischen Abfolge des Entdeckens folgen.
In Wirkung und Haltung erinnert der Film an Mettlers verstorbenen Schweizer Kollegen Peter Liechti. Insbesondere dessen The Sound of Insects von 2009 hatte eine vergleichbare Wirkung, wenn auch einen viel kontrollierteren, präzisen und hochartifiziellen Aufbau.
Und noch eine – wohl eher zufällige – Assoziation zu Peter Liechti taucht im Film von Peter Mettler auf. Da rennt im Garten des Elternhauses bei Toronto seit Jahren ein wildes Kaninchen herum. Auf die Frage, wie es ihm denn gehe, nach dem Tod seiner Frau und in seiner zunehmenden Gebrechlichkeit, erklärt der Vater, es gehe ihm gut, er habe ein Haus, ein wenig Geld auf der Bank und ein Kaninchen.
Das Bild des Tieres taucht in Varianten im Film immer wieder auf und weckt damit auch Erinnerungen an Peter Liechtis letzten Film Vaters Garten. Die Liebe meiner Eltern. (2013, ebenfalls auf Playsuisse) mit dem integrierten «Hasentheater», in dem mit Hasenpuppen Dialoge zwischen Liechtis Eltern nachgespielt werden.
Bei Peter Mettler wird irgendwann eine Kaninchenhälfte unter den Büschen im Garten begraben. Da war wohl eine Katze oder ein Greifvogel am Werk.
While the Green Grass Grows ist ein sehr zugänglicher und freundlicher Film; mit seinen monumentalen Aufnahmen von Wasserläufen und Landschaften dazu bisweilen schlicht prachtvoll überwältigend.
Nun suchen Peter Mettler und seine Schweizer Produzentin Cornelia Seitler (Maximage) die Finanzierung für die Fertigstellung der anderen fünf Teile dieses Gesamtkunstwerkes.
Diese Bilder und Töne gehören auf die Leinwand. Jede anderen Darreichungsform lässt nur erahnen, wie diese kontrolliert assoziativen Bilder, Töne und Gedanken wirken können.
Und nur im Kino, zusammen mit anderen, werden Peter Mettlers Schalk-Interventionen fruchtbar, etwa die Untertitelaufforderung, das Publikum möge ruhig mittanzen zu den Bildern seiner glücklich tanzenden alten Mutter (was ein Schweizer Publikum, selbst in Nyon, natürlich nicht tut. Sich aber trotzdem eingeladen und mitgenommen fühlt).
Hoffen wir also auf die Zwischen- und Fortsetzungen, während das grüne Gras weiterwächst. Auf der anderen Seite.