Eröffnungsfilm des 76. Filmfestivals von Cannes
Johnny Depp als Louis XV von Frankreich? Warum nicht. Wenn Maïwenn inszeniert und auch gleich seine Mätresse Jeanne du Barry spielt, muss der gefallene König der Piraten auch auf Französisch bloss murmeln. Und das kann er wirklich.
Sophia Coppola ist schuld. Die Tochter des «Godfather»-Regisseurs hat 2006 am Filmfestival in Cannes ihre «Marie Antoinette» mit Kirsten Dunst in der Hauptrolle präsentiert. Der knutschbunte Film in Cupcake-Ästhetik hat die Dekadenz am Hof von Versailles mit einer Art Instagram-Psychologie verknüpft.
Die französische Schauspielerin und Regisseurin Maïwenn («Polisse», «Mon rois») war damals bei Coppola fasziniert von der von Asia Argento als bösartige Intrigantin gespielten letzten Mätresse von Louis XV. Diese Jeanne du Barry, die ihrerseits zahlreiche Bücher, Filme und selbst ein Musical inspiriert hatte.
Maïwenn begann zu recherchieren und fand heraus, dass diese Jeanne du Barry ganz anders war: Lebenslustig, liebevoll, loyal, von grosser Schönheit und von einfacher Herkunft.
Und so inszeniert die Regisseurin Maïwenn denn auch die Schauspielerin Maïwenn.
Ihre «Jeanne du Barry» wird in hyperästhetisierten Bildern nahe am Kitsch als illegitime Tochter einer Köchin und eines Mönchs eingeführt, komplett mit Erzählerstimme und dem klaren Hinweis, dass dem lesedurstigen und bildungshungrigen Mädchen in der damaligen Gesellschaft der soziale Aufstieg nur über die Edelprostitution in den Pariser Machtzirkeln möglich war – die Galanterie, wie es auf Französisch viel galanter heisst.
Der Graf du Barry schleust sie am Hof in Versailles ein, in der Hoffnung, der König möge sie zu seiner neuen Geliebten machen und ihm damit mehr Einfluss verschaffen.
Ein Plan, der aufgeht, weil die charmante und kluge Jeanne es versteht, sich vom Rest der Hofschranzen und Intriganten abzuheben, mit Schalk und einer deutlichen Distanz zu den absurden Ritualen der Macht.
Dem von Johnny Depp gespielten Louis XV fällt sie jedenfalls schon bei der ersten Präsentation auf, und der König lässt sie heimlich als designierte Bettgespielin zu sich bringen – wie so viele andere.
Ab da inszeniert Maïwenn eine tragische romantische Liebe gegen gesellschaftliche Widerstände, was auch die überraschende Besetzung von Johnny Depp erklärt. Denn der bringt von früheren Rollen, auch in Frankreich (etwa Chocolat mit Juliette Binoche), aber auch aus seiner Ehe mit Vanessa Paradis und seinen jüngsten medial begleiteten Rosenkriegen mit Amber Heard eine ziemlich passende Aura mit.
Johnny Depp ist der König und als König der heimliche Clown, mit grinsenden Grimassen für die Geliebte und einer spürbaren Verachtung für die höfischen Machtrituale. Und dann auch gleich wieder der dunkle Brüter voller Selbstsucht.
Dass er kaum ganze Sätze zu sagen hat, kommt der Rolle und dem Schauspieler entgegen. Sein Französisch klingt, trotz angeblicher Arbeit mit einem Sprachcoach, immer ein wenig nach Jack Sparrow.
Jeanne du Barry bietet keine vertiefte historische Perspektive, auch wenn Maïwenn ein paar ungeschminkt brutale Momente in ihrer «comédie humaine» gelingen. Die Filmemacherin interessiert sich sehr gegenwärtig für ihre Titelfigur, eine Frau, die in einem tektonischen Machtgefüge anständig zu leben versucht.
In Frankreich und in der Westschweiz läuft der Film jetzt im Kino.
Ein Deutschschweizer Starttermin liegt noch nicht fest.