ABOUT DRY GRASSES (Kuru Otlar Üstüne) von Nuri Bilge Ceylan

Sevim (Ece Bagci), ein Mittel gegen das Verdorren?

Heftige Spuren von elegisch-existentialistischem Nihilismus wiesen schon frühere Filme des türkischen Chemikers und Elektro-Ingenieurs Nuri Bilge Ceylan auf.

Mit diesem Epos allerdings spiegelt sich der Regisseur, darum kommt man beim Zuschauen kaum herum, in einer ziemlich traurigen Figur.

Lehrer Samet (Deniz Celiloglu) sitzt unwillig seine Pflichtjahre in der Provinz ab, jammert über das «Höllenloch» und die Perspektivenlosigkeit seiner Schülerinnen und Schüler, die schliesslich doch «bloss wieder Kartoffeln und Gurken anbauen werden für die Reichen».

Trotzdem ist er, der eher aufgeschlossene Zeichenlehrer, sichtlich beliebt bei den Schülerinnen und Schülern. Und er hat seinerseits in der hübschen Sevim (Ece Bagci) ein heimliches «Teacher’s Pet» gefunden.

Daraus wird dann allerdings ein mottendes Drama, als Sevim und ihr Freund Samet und dessen Kollegen und Wohngenossen Kenan (Musab Ekici) ungehöriger Berührungen beschuldigen.

Das Mädchen ist möglicherweise motiviert dazu, weil sie sich von ihrem Lehrer verraten fühlt, als bei einer Taschenuntersuchung ein Liebesbrief von ihr auftaucht – von dem wir nie erfahren, an wen er gerichtet war, den Samet aber eingesteckt hat. Um Sevim zu schützen, wir er ihr sagt.

Vielleicht aber, das lassen seine letzten Voice-Over-Sätze am Ende des 197 Minuten langen Filmes vermuten, weil ihn die ehrlichen, naiven Gefühle, die das Briefchen wohl eher nicht ihm gewidmet hatte, in seiner Verdorrtheit berührt haben.

Die dürren Gräser, denen kein Frühling nach dem Winter ein neues Ergrünen beschert, stellen denn auch den Titel und das Grundbild des Filmes: In dieser Provinz folgt auf den Winter gleich der brütende Sommer.

Der Film bringt vieles von dem wieder zum Blühen, was die vorherigen Filme Ceylans so grossartig machte. Die Lakonie der Landschaften, konstrastiert zu elaborierten, wilden, sehr theoretischen Dialogen über den Sinn des eigenen Lebens und die eigene Haltung.

Insbesondere ein Austausch zwischen Samet und der schönen, attentatsversehrten Lehrerin Nuray (Merve Dizdar) erinnert an ähnliche, perfekt geschriebene Stichomythenabfolgen im Werk von Nuri Bilge Ceylan.

Dazu kommen aber diesmal Verfremdungseffekte. Freeze Frames, die auf Fotografien Samets geschnitten werden, Porträts in Landschaften.

Und ein sehr kurioser Moment, als absehbar wird, dass Nuray Samet in ihr Bett einladen wird: Samet geht durch eine Tür in der Wohnungswand hinter die Studiokulissen, wandert zwischen den Setstücken durch zu einer Badezimmerkulisse, und schluckt dort, darf man vermuten, eine Viagra-Tablette. Oder auch einfach ein Aspirin.

Schliesslich hat nicht nur das Kinopublikum ein Anrecht auf milde Kopfschmerzen nach dem furiosen Austausch der beiden am Esstisch.

Was Kuru Otlar Üstüne vom bisherigen Werk des Regisseurs abgrenzt, ist allerdings dieses Nichts in der Hauptfigur, seine Bereitschaft den eigenen trockenen Seelenzustand vor die Bedürfnisse seiner Umgebung zu stellen.

Er verrät die Frau und seinen besten Freund und hält das für Ehrlichkeit. Er verrät das Vertrauen seiner Schülerin, die ihm auf den Kopf zusagt, dass sie keine Sekunde daran glaubt, dass er ihren Brief, wie behauptet, wirklich vernichtet hat. Und er verrät sich dauernd selbst, indem er seine vielen kleinen, alltäglichen Gutherzigkeiten gerade den Schülern gegenüber für nichts und nichtig erklärt.

Dieser Film des 65jährigen Nuri Bilge Ceylan hat etwas von einer Flagellation, von einer Selbstgeisselung. Oder auch einfach von der erbarmungslosen Selbstanalyse, die auch einen Max Frisch nicht davon abgehalten hat, sich zuzuschauen beim selbstmitleidigen blöd tun.

Dass der Film Schönheit und Humor hat, macht ihn zum Glück trotz allem zum Kunst-Werk. Und vielleicht liegt die Läuterung, die wir immer so ersehnen, gerade im Kino, ja genau da drin.

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