Dick auftragen, mit Gusto und Witz, das kann Todd Haynes wie kein zweiter. Sein am Meister Douglas Sirk geschulter Stil versöhnt Pathos mit Schalk und Melodrama mit Drama.
Da schraubt sich der bombastische Score musikalisch dramatisch in die Höhe, die von Julianne Moore gespielte Gracie Atherton-Yoo öffnet die Tür des monumentalen Kühlschranks im Haus mit der Veranda am Wasser, starrt hinein und verkündet:
«Ich glaube, wir haben nicht genug Hotdogs.»
Die grosse Barbecue-Party mit den Kindern und etlichen Nachbarn ist ihr wichtig. Denn unter den Gästen ist auch Schauspielerin Elizabeth Berry (Nathalie Portman), die für ein paar Tage im Ort ist, um Gracie und ihre Familie und Nachbarn persönlich kennenzulernen.
Elizabeth soll Gracie spielen, in ein paar Wochen, auf dem Set einer Indie-Filmproduktion.
Denn Gracie und ihr Mann Joe (Charles Melton) haben in den 1990er Jahren Schlagzeilen gemacht mit ihrer Affäre. Die 36jährige Ehefrau, die ihre Familie aufgab für ihre Liebe zu einem Dreizehnjährigen. Das war Tabloid-Futter, erst recht, als Gracie ihr erstes gemeinsames Kind mit Joe im Gefängnis zur Welt brachte – Unzucht mit einem Minderjährigen, gegen diese Paragrafen kommt die stärkste Liebe nicht an.
Film im Film oder Theater im Film sind beliebte Stilmittel, um Verhältnissen und Figuren spielerisch auf den Zahn zu fühlen. Aber Todd Haynes hat mit dem Setup für diesen Film eine neue Spielart geschaffen: Den Film vor dem Film.
Die von Natalie Portmann gespielte Elizabeth ist weder die Drehbuchautorin noch die Regisseurin des Films über Gracie und Joe. Sie ist die Schauspielerin, der alle misstrauen, und nicht ohne Grund. Denn ihre Präsenz in der Familie und im Ort, ihre Kontaktaufnahme mit Gracies erstem Mann, mit ihren Kindern aus der ersten Ehe, mit dem Anwalt, der sie seinerzeit beim Prozess vertreten hat: Das alles reiss alte Wunden auf und erzeugt neue.
Und wie so oft bei Todd Haynes haben wir zwei Frauenfiguren, die Rivalinnen und in Abhängigkeit voneinander zugleich sind, zwei Frauen, die ein Bild von der einen suchen, sich einander angleichen und sich dabei belauern, belauschen, belügen und benutzen.
Todd Haynes lässt die Vergangenheit in Spiralen wieder auftauchen, in Bildern voller satter Farben und stets getrieben und aufgebauscht von dieser dramatisch überdrehten Musik, bis man niemandem mehr so richtig über den Weg traut.
Am ehesten noch dem gutmütigen Joe, der immerhin eine Familie mit vier Kindern und die Ehe mit der so viel älteren Gracie über 24 Jahre hinweg getragen hat.
May December ist die Hollywoodkurzformel für Affären zwischen Menschen mit erheblichem Altersunterschied. Traditionellerweise ist der Mann älter, aus filmverkaufstechnischen und sozio-ökonomischen Gründen. Hier ist es aber auch die Verliebtheit vom Anfang, die nun im Winter der Ehe auf den Prüfstand kommt.
Wobei sich Todd Haynes vor allem dafür interessiert, was moralische und ethische Standards bei seinen Figuren anrichten, was sich die Menschen wofür antun oder eben nicht.
Denn die Prämissen, dass «das Herz will, was das Herz will» und All That Heaven Allows (Douglas Sirk, 1955) nicht das gleiche sind, klaffen nicht mehr gleich eindeutig auseinander wie in der Plotvorlage von Sirk.
May December ist ein kunstvolles Spiel mit der medialen Verortung gesellschaftlicher Standards und menschlicher Bedürfnisse. Und ein raffiniert gebauter, vergnüglicher und bisweilen recht bissiger Film.