Wie ich lernte, einen Papst zu hassen.
Es ist eine grausame Geschichte und eine ungewöhnliche Geschichtslektion, welche Marco Bellocchio mit Rapito auf die Leinwand bringt.
Am Beispiel der Entführung eines kleinen jüdischen Jungen aus einer Familie in Bologna durch den Vatikan erinnert Bellocchio an ein weiteres unglaubliches Kapitel christlicher Übergriffigkeit.
Im Auftrag von Papst Pius IX sammelt sein Inquisitor jüdische Jungen ein, die angeblich getauft wurden. Im Fall des des kleinen Edgardo, den die Schergen des Inquisitors dem jüdischen Händler Momolo Mortara und seiner Frau eines Abends mehr oder weniger aus den Armen reissen, vor den Augen der Geschwister im Haus in Bologna, war es wohl eine Hausbedienstete, die das Baby Jahre zuvor heimlich getauft hatte.
Sie hatte geglaubt, der Kleine werde sterben und wollte ihn vor dem Limbo retten, in den alle ungetauften Menschen unweigerlich landen würden.
Dass sie sechs Jahre später gegenüber dem Inquisitor die Taufe erwähnt, hat, wie eine spätere Untersuchung vor Gericht ergibt, vor allem damit zu tun, dass sie Geld für ihre Aussteuer brauchte.
Bellocchio setzt bei diesem Film konsequent auf die Perspektive der jüdischen Familie und erzählt dabei neben der Geschichte der vatikanischen Kindsentführungen auch jene vom letzten Papst, der auch souveräner weltlicher Herrscher über mehr als nur den Vatikanstaat war.
Der Film ist voll mit herzzerreissenden Szenen, und voll mit Blicken auf historische Zusammenhänge, zu denen oft nur eine vage Erinnerung aus den letzten Schulgeschichtslektionen eine Brücke schlägt, wenn überhaupt.
Zudem bemüht sich Bellocchio auch um den einen oder anderen Blick auf die politischen Mechanismen im 19. Jahrhundert. Etwa wenn einer der jüdischen Politiker dem verzweifelten Momolo die Nachricht überbringt, dass es seinem Sohn im vatikanischen Internat gut gehe.
Und gleich klar macht, dass das eine Katastrophe sei. Weil Momolo international so viel Wind aufgewirbelt habe, selbst in Grossbritannien und in den USA habe es Zeitungsberichte über die päpstliche Entführung gegeben, seien die üblichen diplomatischen Wege nun versperrt.
Der einzige Weg, den Jungen zu seiner Familie zurückzubringen, würde darüber führen, dass dieser zu rebellieren beginne. Darum müsse Momolo ihm erzählen, seine Mutter sei vor Kummer todkrank. Eine Lüge, die der Vater dem Kind nicht antun will.
Allerdings hat der ganze Film eine überraschend altmodische Anmutung. Das ist ein Kostümdrama mit massiver Musikunterstützung und mit einem Papstdarsteller (Paolo Pierobon), der sich bemüht, den Mann unsympathisch und machtgierig zu zeigen, mit Speichel im Mundwinkel und grausamem Lächeln.
Dabei wäre es wohl interessanter und wirkungsvoller, wenn es mehr von jenen Szenen gäbe, die klarmachen, dass die handelnden Figuren von ihrem christlichen Tun überzeugt sind.
Die stärkste ist eine Wiederholung: Als die Schergen den kleinen Edgardo abholen wollen, versteckt er sich unter dem weiten Rock seiner Mutter. Viel später, als der Papst durch seinen Park schreitet und die dort Verstecken spielenden Zöglinge beobachtet, öffnet er sein Gewand und versteckt Edgardo vor dem ihn suchenden Jungen. Was dieser natürlich mitbekommt, aber nicht zu sagen wagt.
Der anschliessende kleine Triumph Edgardos verweist auf sein kommendes Stockholm-Syndrom. Denn aus dem Jungen wird ein fanatischer Katholik.
Rapito ist ein wuchtiger Film, der durchaus einen Eindruck hinterlässt. Aber zugleich auch das Gefühl, man habe etwas gesehen, dass schon vor fünfzig Jahren genau so erzählt worden wäre – hätte sich damals jemand an das Thema gewagt in Italien.