KINDS OF KINDNESS von Yorgos Lanthimos

Emma Stone in ‚Kinds of Kindness‘ © Searchlight Pictures

Nach seinem Erfolg mit Poor Things hatte Lanthimos offenbar das Bedürfnis, wieder tiefer in das gezielte Unbehagen seiner griechischen Anfänge einzutauchen, ohne auf Emma Stone zu verzichten. Oder auf Margaret Qualley. Oder auf Willem Dafoe.

Sie sind alle drei wieder da, ergänzt um Hong Chau und vor allem Jesse Plemons, in den drei thematisch verwandten, aber nur über eine Figur mit den Initialen R.M.F. (Yorgos Stefanakos) verknüpfte Episoden.

Margaret Qualley, Jesse Plemons, Willem Dafoe © Searchlight Pictures

In der ersten Episode spielt Plemons einen Angestellten, der die Wünsche seines Bosses Raymond (Dafoe) bedingungslos erfüllt. Er lebt in dem Haus, das Raymond für ihn gekauft hat, mit der Frau (Hong Chau), die Raymond für ihn ausgesucht hat (ohne dass sie etwas davon weiss), er hält sich an die täglichen handschriftlichen Speiseplanvorgaben und vollzieht auch den Geschlechtsverkehr mit seiner Frau nur nach Raymonds Fahrplan.

Bis Raymond von ihm verlangt, mit seinem (natürlich von Raymond zur Verfügung gestellten) bulligen Ford Bronco den nachtblauen BMW von R.M.F. zu rammen. Und zwar so heftig, dass dieser dabei zu Tode kommt (auf dessen eigenen Wunsch, wie Raymond versichert).

Das verweigert er zunächst, worauf natürlich der komplette Liebesentzug erfolgt, bzw. sein ganzes organisiertes Leben kippt.

Die Episode wird noch viel befremdlicher, irrwitziger und zynischer. Aber die etwas ausführliche Beschreibung ist nötig, um das Grundprinzip von Kinds of Kindness auszubreiten.

Mamadou Athie © Searchlight Pictures

Denn in der nächsten Episode ist Emma Stone die zunächst auf einer Expedition verschwundene Frau des von Plemons gespielten Polizisten. Nach ihrer wundersamen Rettung und Heimkehr ist Daniel allerdings zunehmend überzeugt, dass diese Frau nicht seine sein kann. Ihre Füsse sind zu gross für die Schuhe für Liz und sie macht sich über den Schokoladenkuchen her, obwohl Liz Schokolade nicht mochte.

Aber die Frau verhält sich bedingungslos loyal, erfüllt die zunehmend irrwitzigen Forderungen, die er an sie stellt. Zum Schluss der Episode ist das Wort Kadavergehorsam nicht fehl am Platz.

Willem Dafoe, Jesse Plemons, Hong Chau © Searchlight Pictures

In der dritten Episode schliesslich sind Hong Chau und Willem Dafoe das Guru-Paar, in deren Auftrag Emily (Stone) und Andrew (Plemons) eine prophezeite vereinzelte Zwillingsfrau mit Erweckungsgabe suchen.

Im Zentrum aller Episoden steht die Hingabe oder Unterwerfung einzelner Menschen unter andere, in drei verschiedenen sozialen Hingabesystemen: Dem Arbeitsverhältnis, der Ehe und der Religion.

Lanthimos setzt wieder auf unverschämten Sex und auf blutige Momente, um die Absurdität in diesen Konstellationen auf die Spitze zu treiben, wie in fast allen seiner bisherigen Filme.

Emma Stone und Joe Alwyn © Searchlight Pictures

Und er greift zurück auf das Bild des Hundes (Kynodontas/Dogtooth), wenn Emma Stones Figur in der mittleren Episode schildert, dass in der Welt, in der sie verschwunden war, die Hunde die Rolle der Menschen hatten, für die Menschen sorgten, sie fütterten (wenn auch nur mit Gemüse, das Fleisch behielten sie für sich, insbesondere das Lammfleisch), was Lanthimos in schnellen, urkomischen Schwarzweissepisoden illustriert mit Hunden am Steuer, beim Sex in Missionarsstellung und einem toten Menschen auf dem Hundehighway, den die Hunde in ihren Autos alle möglichst zu umfahren versuchen.

Kinds of Kindness ist unterhaltsam, auf grausliche, groteske Weise faszinierend, wie alle bisherigen Filme von Lanthimos. Aber zugleich ist der Ton ein wenig anders, zynischer, unangenehmer.

Vielleicht liegt es daran, dass in den meisten bisherigen Lanthimos-Werken zwar Figuren anderen dominierten und Menschen sich absurden Regeln unterwarfen oder unterwerfen mussten. Dass da aber der Skrupellosigkeit der Dominanz meist eine unterwürfige Unschuld gegenübergestellt wurde.

In Kinds of Kindness dominieren die Skrupellosen keine Unschuldigen, sondern mehr oder weniger willig Unterwürfige. Und daher gibt es diesmal auch keinen Akt der Befreiung. Die Erlösung liegt in der erneuten Unterwerfung. Oder im Tod.

Das Einzige, was dagegen helfen dürfte, wäre wohl, sich den Film noch ein zweites oder drittes Mal anzuschauen.

Er ist unterhaltsam genug dafür, smart konstruiert, und wenn die konstanten Schock- und Überraschungsmomente einmal bekannt sind, wahrscheinlich auf eine weitere Art durchaus erneut und anders geniessbar.

Hong Chau © Searchlight Pictures

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