Karsh (Vincent Cassel) hat seine Frau Becca (Diane Krüger) an Krebs verloren. Das Bedürfnis, ihr ins Grab zu folgen, sie beim weiteren Zerfall ihres Körpers nicht allein zu lassen, sei der Anlass gewesen für sein Hightech-Friedhof-Projekt.
Gräber, in denen die Körper der Verstorbenen in Nanotech-Leichentücher eingewickelt bestattet werden. Das Material scannt den Körper in Echtzeit und liefert via App jederzeit hochauflösend gerenderte 3D-Modelle der Leichen.
Karsh findet Trost in dieser virtuell-realen Nähe, und er hofft, dass es auch anderen so gehen möge.
Wenig Verständnis dafür hat Karshs Schwägerin Terry (Diane Krüger), die ihrer Schwester enorm gleicht, aber ein Flair für Verschwörungstheorien hat und als ausgebildete Veterinärin einen Hundesalon führt, weil sie dem Aufschneiden der Tiere nichts abgewinnen konnte.
David Cronenberg hat 2017 nach 43 gemeinsamen Jahren seine Frau verloren. Das sei der Anlass gewesen für diesen für Cronenbergsche Verhältnisse nicht übertrieben bizarren Film.
Zur zentralen Idee des beobachteten, mit Liebe und Sympathie verfolgten Zerfalls hat er einen Wirtschaftsspionage und Verschwörungs-Plot mit leichtem Science-Fiction-Einschlag gepackt und einen dritten Strang, der eine KI-Assistentin mit dem Namen Hunny (Diane Krüger) involviert.
Die organisiert alle Treffen und die ganze Agenda des Geschäftsmannes Karsh. Programmiert hat sie, wie auch die Scansoftware der Shrouds, der Ex-Mann von Terry, der begabte Hacker, Stalker und Verschwörungsfanatiker Maury (Guy Pearce). Also der Ex-Schwager von Karsh.
Vincent Cassel ist klar als Alter Ego von David Cronenberg gestylt, mit entwaffnendem Charisma und einer ganz selbstverständlichen Haltung gegenüber seinem Zerfalls-Voyeurismus.
Denn dieser ist, das machen Rückblenden, bzw. Träume von Karsh klar, nur die konsequente Weiterführung der Teilnahme an der Krankheit der geliebten Frau. Er habe im und mit dem Körper von Becca gelebt, erklärt Karsh deren Schwester.
Entsprechend sehen wir Diane Krügers nackten Körper immer wieder weiter reduziert, um eine Brust, einen Arm. In einer besonders unter die Haut gehenden Szene zerbricht beim Versuch des Liebesaktes ihre Hüfte wegen der Glasknochen infolge der medikamentösen Krebsbehandlung.
Solche Szenen stehen in der Tradition des Cronenbergschen Body-Horror. Aber in diesem Film sind sie als endlose Liebeserklärung inszeniert. Das Mitleiden, das Mitleid, die Anteilnahme am Zerfall des geliebten Gegenübers, das bringt Vincent Cassel glaubwürdig auf die Leinwand.
Und das bedeutet, dass ich auch als Kinozuschauer nicht nur den Körperhorror fühle, wie in früheren Cronenberg-Filmen, sondern auch die Lust, die Vereinigung.
Damit schliesst The Shrouds bei Cronenbergs J.G. Ballard-Verfilmung Crash von 1996 an, auf den sich auch Julia Ducournaus Palmengewinner Titane von 2021 bezieht.
The Shrouds ist ein liebevoller Film, ein Abschied offensichtlich, und wie immer bei Cronenberg, getragen von gut ausgestatteten Schauwerten.
Aber anders als die meisten Filme seiner langen Karriere würde The Shrouds wohl auch als Hörspiel funktionieren. Der Film ist zwei Stunden lang und es gibt fast keine Szene, in der nicht endlos geredet wird, in Dialogen, die den komplizierten und nie eindeutigen Plot meist gerade noch verständlich um die nächste Kurve bringen.
Da ist es dann doch erfreulich, dass am Ende die Mysterien ihre möglichen Auflösungen nur mit einem Strauss von hypothetischen (und teilweise sehr witzigen) Theorien angeboten werden, ohne Festlegung auf Eindeutigkeit.