THE SUBSTANCE von Coralie Fargeat

Demi Moore in ‚The Substance‘ © The Match Factory

Mit ihrer für das neue Jahrtausend aufgepeppten und radikalfeministisch unterlegten Neuauflage der bewährten Rape-Revenge-Exploitation Revenge hat Coralie Fargeat 2017 Aufsehen erregt.

Fashionable hat das Unterfangen der Erfolg von Ana Lily Amirpours A Girl Walks Home Alone At Night von 2014 gemacht.

Mit Titane und der goldenen Palme von 2021 für Julia Ducournau hat schliesslich der feministisch reinterpretierte Body-Horror seine intellektuelle Adelung erfahren.

Grund genug für Coralie Fargeat, diese verdächtig arrivierte Stossrichtung des Kinos einmal mehr zu revidieren. Mit einem überproduzierten, genretreuen B-Picture in Hochglanz und mit Starbesetzung. Aber auch mit der obligaten Unzweideutigkeit einstiger Drive-In-Horrorfilme.

The Substance ist im wesentlichen Oscar Wildes “The Picture of Dorian Gray” für das Zeitalter von Ozempic und anderen spritzbaren Körperverbesserungen.

Demi Moore spielt den verblühenden Filmstar Elizabeth Sparkle, die in ihrer eigenen Fitness-Show durch ein jüngeres Modell ersetzt werden soll.

Da kommt ihr die geheimnisvolle Droge «The Substance» gerade recht. Denn damit lässt sich der eigene Körper mit einer einzigen Injektion zur Selbstklonung anregen, der entstehende Klon ist jung, schön und fit und wird von Margaret Qualley gespielt.

Demi Moore in ‚The Substance‘ © The Match Factory

Der Dorian-Gray-Haken am Ganzen sind die Spielregeln: Klon und Matrix sind eines. Also zwei Körper eines einzigen Organismus. Entsprechend muss immer eine Version sieben Tage am Nährstoffbeutel regenerieren, während die andere das Leben geniessen kann.

Der tägliche Booster für den aktiven Körper wird dem ruhenden entnommen. Und wenn der Wechselrhythmus nicht eingehalten wird, geht das auf Kosten der Matrix, also dem Originalkörper, der entsprechend radikal altert.

Logisch, dass die schöne junge Version nicht viel Disziplin aufbringt, wenn es darum geht, mit den gemeinsamen Ressourcen haushälterisch umzugehen.

Die Implikationen sind vielfältig und höchst interessant, gerade auch im Hinblick auf den gesellschaftlich induzierten weiblichen Selbsthass angesichts des eigenen Zerfalls.

Margaret Qualley als Sue in ‚The Substance‘ © The Match Factory

Fargeat ist sich all der Möglichkeiten offensichtlich bewusst. Sie nimmt sie auch auf und spielt sie durch.

Aber gleichzeitig ist The Substance nicht nur Body-Horror in Reinkultur, mit Blut, Schleim, Ausscheidungen und Verstümmelungen, sondern auch der Unzweideutigkeit der einfachsten B-Picture Konventionen verpflichtet. Alles wird ausgesprochen. Was wichtig ist, wird als Erinnerungsstütze immer wieder eingeblendet, alle Figuren sind maximal überzeichnet.

So ist der von Dennis Quaid gespielte TV-Produzent nicht einfach das übliche Produzentenschwein, sondern auch ein von der Kamera und seinen Phrasen zusätzlich gezeichneter Kotzbrocken.

Der attraktivste Mensch kann unsympathisch gemacht werden, wenn die Kamera ihm bei der Nahrungsaufnahme auf und in den Mund schaut. Die Grossaufnahme spuckender, kauender, schmatzender Münder gehört zu den billigsten Propagandamitteln des filmischen Klassenkampfes. Und Coralie Fargeat lässt auch das nicht aus.

Es ist anzunehmen, dass Fargeat und ihr Team um jeden Preis vermeiden wollten, ihre Genrewurzeln mit allzu viel Kunstgedöns und intellektueller Raffinesse zu verraten.

Dafür sprechen die mit 140 Minuten klare Überlänge des Films, der Aufwand bei den Körperprothesen und den Body-Horror-Elementen, und schliesslich die Hektoliter von Kunstblut im Finale, welche Kubricks Hotel-Lift oder Brian de Palmas Blutdusche für Carrie zurückhaltend erscheinen lassen.

Dabei wäre die Idee, dass sich das Bildnis des Dorian Gray seiner Ausbeutung nicht kampflos ergibt, auch klar raffinierter umsetzbar.

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