«Es geht um Schwestern, egal woher sie kommen, und um Käfige, egal wo sie stehen. Käfige, die man verlassen möchte und solche, in die man sich zurückwünscht.»
So formuliert Regisseurin Kurdwin Ayub das Thema von Mond, ihrem zweiten langen Spielfilm nach Sonne von 2022.
Die erste Schwester, Sarah (Florentina Holzinger) sehen wir in der ersten Einstellung an einem Tiefpunkt. Die bisher erfolgreiche mixed Martial-Arts Kämpferin wird im Wettkampf-Käfig von ihrer jüngeren Gegnerin blutig vermöbelt. Sarahs Karriere ist erst mal gelaufen.
Ihre Schwester, eben erst Mutter geworden, macht ihr Vorwürfe, weil sie keinen Business-Plan habe und keine konkrete Vorstellung davon, wie sie künftig ihren Unterhalt verdienen wolle.
Und die die zwei späten Teenies, denen sie als Miettrainerin die Grundzüge des Boxens beibringen soll, die interessieren sich er dafür, ob sie cool aussehen. Und jammern über die Verletzung ihres Safe Spaces, als Sarah beim Training durch ihre mangelnde Deckung kurz durchgreift.
Das ist naturalistisch und es ist metaphorisch. Mond ist eine Ulrich-Seidl-Filmproduktion, entsprechend gnadenlos sind die österreichischen Figurenzeichnungen und Dialoge. Etwa wenn die Schwester Sarah zusammenstaucht, weil sie ihr Trinkglas auf dem weissen Tisch nicht auf den Untersetzer gestellt hat.
Kurdwin Ayub bringt diese Momente allerdings nicht als Selbstzweck ins Spiel, sondern als Kontrastmittel.
Denn wie so viele wirtschaftlich gestrandete Existenzen in Europa, sucht Sarah ihr Heil vorübergehend in den reichen Pfründen des nahen Ostens. Sie lässt sich von einer sehr reichen Familie in Jordanien als Trainerin für die drei Töchter des Hauses anheuern.
Schon beim ersten Treffen im Palast ausserhalb der Stadt fällt ihr auf, dass die jungen Frauen sehr eigenwillig reagieren und sich Enthusiasmus und Langeweile bei Training überraschend ablösen.
Bald wird Sarah klar, dass die Schwestern keine wohlbehüteten Prinzessinnen sind, sondern faktisch Gefangene im eigenen Haus, mit Eltern die nie da sind, dem Bruder, der alles managed und den Sicherheitsmännern, die auch den Bruder überwachen.
Mit der wachsenden Einsicht auf die Situation der Mädchen wächst bei Sarah auch der Druck, sich für sie einzusetzen – und die persönliche Verlorenheit in dieser luxuriösen Kunstwelt zwischen Hotel und Villa, Chauffeur und Isolation.
Mond wird zum realistischen Thriller, souverän geschrieben und inszeniert und durchdrungen von diesem Realismus, der immer auch metaphorisch wirkt. Und die Spiegelung einzelner Konstellationen und Szenen in Österreich entsprechend relativiert.
Mond ist eine hervorragend satt und mager gebaute Inszenierung, ein Film, der seine Schläge trocken und präzise landet.