SULLA TERRA LEGGERI (Weightless) von Sara Fgaier

© Limen

Eine bewährte Locarno-Faustregel lautet seit Jahren: Schau Dir hier keine italienischen Uraufführungen an, schon gar nicht im Wettbewerb. Wenn die Filme was taugen, haben sie ihre Weltpremiere in zwei Wochen in Venedig.

Der erste Langspielfilm der Italo-Tunesierin Sara Fgaier ist allerdings kein misslungener Versuch, sondern gezielt gebaute grosse Kammer-Oper. Mit allen Vor- und Nachteilen.

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Zu den Vorteilen zählt die ungebremste Sentimentalität in Erzählung, Bildgestaltung und vor allem der Musik von Carlo Crivelli. Zu den Nachteilen ebenfalls.

Miriam sucht einen Weg, ihren Vater aus seiner temporären Amnesie zu holen, in die er sich nach dem Tod seiner Frau geflüchtet hat. Dazu legt sie dem emeritierten Musikethnologen einen Packen seiner Tagebücher bereit.

Und die führen ihn zurück zu seiner ersten ganz grossen Liebe, der Frau, mit der er sich nach einer Nacht am Strand verabredet hatte, fünf Monate später, in Tunesien, an einem Leuchtturm.

Bloss kam sie nicht. Und er hat sie nie wiedergesehen. Oder doch?

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Die Reise des alten Mannes in seine eigenen Erinnerungen, der Kampf um das, was zu fassen ist und das, was es zu ertragen gilt, das illustriert Fgaier einerseits mit tunesisch-italienischer Grandezza der jungen Gefühle.

Andererseits glücklicherweise aber auch mit «found footage», beziehungsweise gezielt zusammengestellten Archivmaterialien aus der vergessenen Filmgeschichte. Flugzeuge, Schiffe, Frauen in Heissluftballonen, Männer mit Heliumballonen über Felder hüpfend.

Bis hin zu den Hosenträgern, die der spätere Professor in seinen Erinnerungen an das Jahr 1983 (!) trägt, herrscht in diesen Bildern eine Tintin- oder Indiana-Jones-Ästhetik, was die Erinnerungsbilder natürlich bestens mit dem alten Dokumentarmaterial verbindet.

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Das ist alles sehr schön gemacht. Bisweilen fragt sich der nüchterne Alltagsbetrachter von heute vielleicht, warum dieser ältere Herr mit seiner Amnesie durchgehend einen perfekt gestutzten Dreitagebart trägt, und saubere Kleider, obwohl er nicht einmal seine eigene Tochter erkennt… aber es geht hier ja um Amnesie und nicht um Anamnese.

«Wir glauben hier an den Tod und an die Liebe», sagt einmal eine der tunesischen Frauen, angesichts eines Traumes, in dem Laila Gian im Sarg gesehen hat.

Das ist ziemlich sicher eine der Voraussetzungen, um diesen Film wirklich geniessen zu können. Und eine Vorliebe für die ungebremsten Töne und ätherischen Frauenstimmen in der Musik von Bellocchios Hauskomponist hilft auch.

Die Leichtigkeit auf Erden, welche der Filmtitel verspricht, die kann einem schon befallen, wenn man sich diesem Film überlässt.

Aber das muss man wollen können.

Sara Fgaier © Limen

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