AKIPLĖŠA (Toxic) von Saulė Bliuvaitė

©Akis Bado

Goldener Leopard für den besten Film
Preis für den besten Debütfilm

Marija ist dreizehn Jahre alt. Ihre Mutter hat sie vorübergehend bei der Grossmutter abgestellt, in einer trostlosen Industriestadt an einem Fluss in Litauen. Marija ist lang und dünn und hinkt leicht, was dazu führt, dass sie die anderen Mädchen in der Schule gleich mal auf Vorrat mobben.

Insbesondere Kristina, die klaut ihr die Designerjeans aus dem Spind und trägt sie ein paar Tage später rotzfrech zur ersten Vorstellungsrunde für den Modellingkurs, den eine Frau lokal anbietet.

Nach einer Prügelei um die Jeans auf der regennassen Strasse werden die zwei Mädchen überraschend enge Freudinnen.

Ieva Rupeikaite, Vesta Matulyte ©Akis Bado

In ihrem ersten Langspielfilm bringt Saulė Bliuvaitė ihre eigene Teenagerzeit ein. Sie war die schlaksige Dreizehnjährige, die sich für jede lokaleModel-Konkurrenz beworben hat, die sich einreden liess, ihr Körper und ihre dünnen Gliedmassen seien noch immer zu dick.

Kristina bestellt sich Bandwurmeier im Internet, Marija versucht, ihr Hinkebein mit besonders energischen Schritten zu kaschieren und die Agentur-Frau, die vor allem auf die Kursgebühren spekuliert, erklärt ihr, neben Gang und Haltung würde vor allem Selbstbewusstsein trainiert.

Das fehlt der scheuen Dreizehnjährigen, die alle Kolleginnen überragt, am meisten.

©Akis Bado

Der Film wird seinem Titel mehr als gerecht. Was diese Mädchen antreibt, was sie durchmachen, in einem Umfeld, das nur wenig Hoffnung und Abwechslung zu bieten hat – auch für die männlichen Teenager – das ist toxisch auf jeder Ebene.

Und doch gelingt es Saulė Bliuvaitė, immer wieder Bilder voller Schönheit zu komponieren, im Kontrast zum eher scheusslichen Alltag.

Gesichter, perfekt ausgeleuchtet. Kristinas Vater beim Tanzen mit seiner korpulenten Freundin. Die Umarmung zwischen Vater und Tochter, als diese entsetzt feststellt, dass der Vater sein Auto verkauft hat, um ihren überteuerten Fotoshoot zu ermöglichen.

Und immer wieder Momente kurz vor einer Katastrophe, einer möglichen Vergewaltigung, dem Gedankenspiel mit der einen oder anderen Form von Prostitution, ohne dass der Film allzu drastisch und damit plakativ würde.

Selbst die Frau, welche die Kurse anbietet, hat einen Kern von Ernsthaftigkeit, wenn sie Marija trotz ihres Hinkens gerade wegen ihrer eigenwilligen Schönheit protegiert. Was die Konkurrenz unter den Mädchen natürlich nicht mildert.

Letztlich zeigt der Film, wie menschenverachtende Traumformate wie «Germanys Next Topmodel» am Ende der Traumverwertungskette ankommen, was die Bilder und Vorstellungen anrichten und auslösen.

Dass es der Filmemacherin gelingt, hinter die Anklage und die realistisch gezeigten toxischen Vorstellungen immer wieder Bilder echter Menschlichkeit, Zuneigung, Solidarität und Zusammengehörigkeit zu schieben, dass hebt den Film über seine Anklage hinaus.

Saulė Bliuvaitė

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