HERETIC von Scott Beck & Bryan Woods

Mr. Reed (Hugh Grant) und die Missionarinnen Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) © Pathé Schweiz

Wir haben es ja lange geahnt, dass in der linkisch-charmanten Screen-Persönlichkeit des Präzisions-Comedian Hugh Grant der blanke Horror stecken muss. Und wie der Zauberer von Oz hatte er schon nach seinem ersten Erfolg mit Four Weddings and a Funeral das drängende Beichtbedürfnis eines katholischen Serientäters.

Das erklärt nicht nur seinen legendär grummeligen Umgang mit dem eigenen Image und mit Journalisten, sondern vor allem die Wirksamkeit seiner bis ins letzte Detail ausgetüftelten Darstellerkniffe.

Mr. Reed (Hugh Grant) und die Missionarinnen Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) © Pathé Schweiz

Wenn Hugh Grant vor der Kamera fast unmerklich mit dem linken Auge zwinkert, läuft im Hintergrund eine unerbittlich präzise Höllenmaschine, programmiert und gebaut von einem detailversessenen Schauspiel-Houdini.

In Heretic grinst der nun plötzlich durch sein Uhrwerksgehäuse hindurch.

Das Grinsen ist unaufhaltsam; schon wenn Grant als Mr. Reed mit etwas Verzögerung die Haustür seiner alle Horrorfilmklischees erfüllenden Mansion in ihrem parkähnlichen Garten öffnet, um die beiden jungen Missionarinnen auf den Stufen freundlich erstaunt anzublicken.

Engel im Anflug: Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) © Pathé Schweiz

Dabei sind einem die zwei hübschen Mormoninnen da schon ziemlich ans Herz gewachsen. Sister Barnes (Sophie Thatcher) und Sister Paxton (Chloe East) mögen fest verankert sein in ihrer Kirche. Aber die paar Szenen, mit denen der Film sie einführt, zeigen liebenswerte junge Frauen mit einer gesunden Neugier und Skepsis.

Doch in dem Moment, da sie an der Tür des Hauses klingeln, um mit etwas Glück und viel Beharrlichkeit ein neues Kirchenmitglied zu gewinnen, dreht natürlich auch meine Zuschauersympathie ein wenig.

Wer will die schon vor der Tür haben, diese Mormonen, Zeugen Jehovas, Bibelversverteilerinnen und Untergangs-Prediger.

Somit stellt sich sehr schnell eine gewisse Komplizenschaft mit Grants Reed ein, als der die zwei hereinbittet, ihr kurzes Zögern mit dem Hinweis auf seine ebenfalls anwesende Frau beiseite wischt, und einen von dieser gebackenen Blueberry-Pie in Aussicht stellt.

Gleich darauf kontert er die eingeübten Anwerbe-Argumente der zwei jungen Frauen mit einer komischen Mischung aus professionell religionstheoretisch geschultem Wissen und obskuren popgeschichtlichen Fakten, wie etwa der Plagiatsklagenkette, die von «The Air that I breathe» von «The Hollies» über «Creep» von «Radiohead» zu Lana Del Reys «Get Free» führt.

Im Prinzip kontert er die zaghaften Glaubensargumente der Missionarinnen mit der Herleitung ihrer Religion- bzw. Organisationsgeschichte, indem er die Gründung der mormonischen «Church of Jesus Christ of Latter-day Saints» wie ein Popkulturphänomen analysiert und die Ansprüche ihrer Religionsgründer bis hin zur Polygamie als machthungrige Züge diffamiert.

Sister Paxton (Chloe East) gewinnt den Überblick mit Verspätung © Pathé Schweiz

Was bei den nun bereits ziemlich nervösen jungen Frauen die Verunsicherung weiter steigert. Als sie dann noch entdecken, dass der Duft nach Blueberry-Pie nicht aus der Küche kommt, sondern von der Kerze auf dem Tischen vor ihnen, bricht die Panik durch.

Nun sitzen sie in der Falle und müssen sich entscheiden, durch welche Tür sie allenfalls die Flucht antreten sollen.

Da kippt die Zuschauersympathie wieder zurück zu den Frauen, und der Plot begibt sich zügig in das Fahrwasser der Genrekonventionen.

Die zentralen pop- und glaubenstheoretischen Sequenzen sind ein ausgedehntes Kabinettstück, sowohl der Autoren, wie auch des ausführenden Darstellers Hugh Grant.

Wenn sich amerikanische Ivy-League-Bildung in die Niederungen des Pop begibt, passieren wundervolle Dinge. Das zeigte vor 25 Jahren Kevin Smiths Dogma mit Matt Damon und Ben Affleck, die sich mit Salma Hayek als Serendipity und Alanis Morissette als Gott glaubenstheoretische Scharmützel lieferten.

Und wenn der abendländische Horrorfilm nicht auf archetypische Menschheitsängste wie die vor den Geistern der Toten zurückgreift, sondern auf die von der katholischen Kirche über Jahrhunderte geförderten Systemängste zwischen Gott und Sünde, Teufel, Tod und Höllenfeuer, dann ruft er nicht minder wirkungsvolles, generationengeschultes Gruseln ab.

Heretic (wörtlich Häretiker = «Ketzer») trägt sein Programm im Titel. Das ganze Drehbuch stützt sich letztlich auf auf rhetorische und philosophisch-ontologische Figuren. Widersprüche, Widerrede, paradoxe Phänomene der conditio humana werden in ihrer komischen, verzweiflungsinduzierenden Wirkmächtigkeit durchgespielt.

Und «durchgespielt» ist da auch genau so gemeint, im Sinne eines Spiels mit Regeln, die darum funktionieren, weil sei vorausgesetzt werden können.

Sister Barnes (Sophie Thatcher) geht ein weiteres Licht auf © Pathé Schweiz

Das mach diesen Film zu einem raren Vergnügen. Die Autoren von (unter anderem) John Krasinskis A Quiet Place, kennen alle Regeln des Genre-Kinos und können es sich darum leisten, die Payload der Horror-Mechanik als Stakkato-Sequenz kurzer, ironischer «Money Shots» ins letzte Viertel ihres Filmes zu packen.

Das ist dann deutlich weniger einzigartig als das ganze Vorspiel, aber durchaus vergnüglich im Rahmen der Genre-Erwartungen. Und dazu gehört auch die vom Drehbuch schon in der allerersten Einstellung des Films augenzwinkernd angelegte Frage nach dem «Final Girl».

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