NOSFERATU von Robert Eggers

Nicholas Hoult als Thomas Hutter im Schloss von Graf Orlok © Universal

Es gibt keine ironischen Momente in Eggers Nosferatu. Aber der Film hat ein Über-Ich, und dieses grinst glückselig vor sich hin, immer wieder. 

Am stärksten wohl in der Szene, als die Van-Helsing-Variante des neuen Ensembles, der aus der Schweiz stammende Professor Albin Eberhart von Franz, gegen Ende des Films erklärt, er habe keine Ahnung, wie der Untote Nosferatu endgültig zu vernichten wäre. 

Willem Dafoe als Prof. Albin Eberhart von Franz © Universal

Denn gespielt wird dieser Professor von Willem Dafoe. Und der wiederum hat vor einem Vierteljahrhundert in Shadow of the Vampire (2000) von  E. Elias Merhige den Max Schreck gespielt, den Darsteller von Murnaus Graf Orlok, den Original-Nosferatu von 1922. 

Nun war Shadow of the Vampire die wohl denkbar ironiereichste Variante des Stoffes, erzählte der Film doch clever fiktionalisiert von Murnaus Dreharbeiten und den Gerüchten, dass Nosferatu-Darsteller Max Schreck tatsächlich ein Vampir gewesen sei, der sich auf dem Film-Set verpflegte… 

Eggers’ Nosferatu kann dieses Über-Ich nicht abschütteln, genau so wenig wie die gesamte Film- und Wirkungsgeschichte des Vampir-Stoffe seit Bram Stokers Dracula. 

© Universal

Dass Eggers trotzdem auf Ernsthaftigkeit und so etwas wie historischen Quellen-Realismus setzt, macht seinen Film zu einem eindrücklichen Solitär. Jede Einstellung ist zugleich originell und Hommage, jedes Bild ein Tableau und ein Echo. 

Ellen Hutter (Lily-Rose Depp) und Anna Harding (Emma Corrin) © Universal
Ein Klassiker des „Chiaroscuro“: Honthorst Gerard van (eigentlich Gerrit van) geb. 4. November 1592 in Utrecht – ✝ 27. April 1656 in Utrecht. Die Kupplerin , 1625 Öl auf Holz, Centraal Museum Utrecht

Im Prinzip reduziert Eggers Figuren und Plot auf ihre Essenz des Schreckens und dabei blendet er die ganze gesellschaftliche Metaphorik, mit dem sich die Geschichte des Vampirfilms aufgeladen hat, für die Dauer seiner hundertzweiunddreissig Kinominuten aus. 

Ein unmögliches Unterfangen und gerade darum bewundernswert. 

War doch schon Murnaus Stummfilm eine unglaublich effiziente Krampfgeburt.  

Einerseits mussten Murnau und sein Drehbuchautor Henrik Galeen Bram Stokers Vorlage soweit verändern, dass sich Nosferatu als Originaldrehbuch verkaufen liess (was nicht gelang und massive Autorenrechtsstreitigkeiten provozierte). 

Andererseits gelang es Murnau und seinem Team, nicht zuletzt dank dem unglaublichen Max Schreck, tatsächlich, Nosferatu zu der prägenden  «Symphonie des Schreckens» zu machen, als die der Film angekündigt wurde. 

Die gesellschaftlichen Interpretationen, bis hin zu den Vorahnungen auf die kommende Nazi-Herrschaft, halten bis heute an, eben so wie die jungianischen und freudianischen Interpretationen des Vampirismus nach Stoker, mit all ihren repressiv-sexuellen Konnotationen. 

Werner Herzogs Nosferatu von 1972 mit Isabelle Adjani und Klaus Kinski

Als dann Ende der 1970er Jahre Kino-Berserker Werner Herzog sich anschickte, mit Isabelle Adjani als Lucy Harker und Klaus Kinski in der Titelrolle seine Neuinterpretation Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) zu gestalten, war der Dracula-Mythos längst Popcorn-Kino geworden.  

Nach Universals Dracula-Varianten hatten die britischen Hammer-Produktionen mit Christopher Lee die ganze Bogenkarriere des Stoffes im Eilzugstempo nachgespielt, von ernsthaft versuchtem Gothic-Horror bis zu den modernisierten Gaga-Varianten wie Dracula A.D. von 1972, der in Deutschland bezeichnenderweise als «Dracula jagt Mini-Mädchen» ins Kino kam. 

Herzog holte den Stoff mit seiner respektvollen Hommage an Murnau zurück in die deutsch-romantische Zwiespältigkeit. Sein von Klaus Kinski verkörperter Graf Orlok wurde zur poetisch-melancholischen Trauer-Figur, eine verwunschene, verfluchte Kreatur, deren Vernichtung durch die Selbsthingabe der von Isabelle Adjani eben so todessehnsüchtig verkörperten Lucy Harker einer Erlösung gleich kam. 

Anna Harding (Emma Corrin) © Universal

Robert Eggers nimmt die Figuren und reduziert sie funktional ins Gefüge der unaufhaltsamen Abläufe. Dabei stehen ihm ungleich mehr Mittel zur Verfügung als seinerzeit Werner Herzog – was auf der Leinwand durchaus zu sehen ist. 

Aber seine Bilder und Figuren sind sozusagen unvermittelt, oder unmittelbar. Obwohl Eggers sich jederzeit vor all seinen Vorgängern verneigt, zerschlägt er Bild für Bild wie einen Spiegel, lässt Schrecken auf Horror auf Ankündigung folgen. 

Eggers Graf Orlok, ein verrottendes, riesiges Monster, gespielt vom hinter Make-Up unerkennbar versteckten Bill Skarsgård, ist bis zum Schluss kaum je wirklich ganz sichtbar. Eggers spielt mit den von Murnau geprägten Schattenwürfen, er lässt Orlok auch andeutungsweise schweben wie seinerzeit Max Schreck, aber dieser Orlok bleibt monströs und fremd, wie der Xenomorph in den Alien-Filmen. 

Ellen Hutter (Lily-Rose Depp) © Universal

Lily-Rose Depps Ellen Hutter ist optisch und im Kostüm klar Isabelle Adjanis Lucy Harker nachempfunden. Aber sie ist keine romantische Figur, das wird spätestens dann klar, als Anna Harding, die Frau des Freundes ihres Mannes, ihre Schreckensträume als «von romantischen Vorstellungen geprägt» abtun will.  

Ellen Hutter ist allenfalls eine traumatisierte Frau, drehbuchmässig psychoanalytisch gepiesakt durch A Dangerous Method, wie die historische Sabina Spielrein durch psychoanalytische Interpretationen. Aber Depps Ellen wächst einem nicht ans Herz, sie bleibt die Spiegelfigur zu Orlok – was dieser perfiderweise auch so benennt, in einem perversen Twist von Eggers Drehbuch, in dem man durchaus eine gewisse Misogynie erkennen kann, geschickt getarnt als Stimme des Bösen. 

Dreharbeiten auf dem Set mit Robert Eggers © Universal

Robert Eggers Nosferatu ist ein eindrücklicher Tiefkühlschrank voller Erinnerungen an die Vampirgeschichten des Kinos. Eine Hommage, eine Statue, ein Film, der in seiner umfassenden Umarmung die Chance hat, als zeitloses Zeugnis in die Filmgeschichte einzugehen. Aber eher nicht in die wärmeren Herzkammern des Publikums. 

 

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