
In diesen Zeiten, in denen Facebook-Zuckerberg sich und seinen Konzern tief in den migrationsfeindlichen MAGA-Sumpf eintauchen lässt, tut es gut, vom einstigen Film-Zuckerberg Jesse Eisenberg einen dermassen charmanten Film über amerikanisch-europäische Familiengeschichte und Traumata geschenkt zu bekommen.
Benji Kaplan (Kieran Culkin) und David Kaplan (Regisseur Jesse Eisenberg) sind Cousins, us-amerikanische Juden in dritter Generation. Sie sind fast wie Brüder gemeinsam aufgewachsen, haben sich aber aus den Augen verloren, seit David nach New York gezogen ist und geheiratet hat.
Als die gemeinsame Grossmutter der beiden stirbt, hinterlässt sie ihren Enkeln Geld, um eine Reise in ihre einstige Heimat Polen zu machen, zu den Familienwurzeln und zu den Spuren des Holocaust, dem die Grossmutter «dank tausend Wundern» einst entkommen war.
Eisenberg, der sein Drehbuch wie schon sein Theaterstück «The Revisionist» auf der eigenen Familiengeschichte aufsetzen lässt, macht aus dem grossen traumatischen Schicksal der Vorfahren und dessen Spuren in der Psyche der folgenden Generationen ein fast schon minimalistisches Roadmovie.

Die Cousins David und Benji tragen beide Spuren von Eisenberg.
David ist der angepasste Ehemann mit Kind und Karriere, verheiratet mit der indischstämmigen Priya (Ellora Torchia), gehemmt und nervös und eigenbrötlerisch.
Benji ist ein unberechenbarer, bi-polarer Charmebolzen mit Hippie-Zügen und einer entwaffnenden Ehrlichkeit.
Die beiden treffen sich in New York am Flughafen kurz vor dem Abflug nach Polen und die eingespielte Dynamik der zwei flackert schon in den ersten Sekunden wieder auf.
Im Hotel in Polen treffen sie dann auf die restlichen Teilnehmer dieses «geriatrischen Holocaust-Ausflugs», wie es Benji einmal nennt. Mark und Diane, ein älteres jüdisches Ehepaar (Daniel Oreskes, Liza Sadovy), die frisch geschiedene Marcia (Jennifer Grey), und den schwarzen Eloge (Kurt Egyiawan), der als Überlebender der ruandischen Genozide in die USA gekommen war und aus einem Gefühl der Schicksalsverwandschaft zum Judentum konvertiert hat.

Damit ist Eloge in einer ähnlich übereifrigen Konvertitenposition wie der britische Tourguide James (Will Sharpe), der zwar kein Jude ist, wie er bedauernd betont, aber so begeistert und durchdrungen von der jüdischen Kultur und Geschichte, dass er vor lauter Fakten, Details und Taktgefühl zur perfekten Verkörperung all dessen wird, was die kleine Reisegemeinschaft an Paradoxa ausmacht.
Im Kern erzählt Eisenberg mit diesem Film die ewige Geschichte menschlicher Verletzungen und Unsicherheiten im Umgang miteinander, in der lockeren und dankbaren Atmosphäre einer kleinen, auf Alte-Welt-Exotik erpichten Safari-Gemeinschaft. Und er holt ein Maximum aus der Konstellation heraus.

Etwa wenn der charmante Hallodri Benji, der alle Herzen mit seiner direkten, manchmal brüsken Art erobert, im Erstklasswagen im Zug nach Lublin, zum Ghetto und dem einstigen Konzentrationslager Majdanek plötzlich gewahr wird, wie sehr ihre bequeme Reise mit jener der Vorfahren beim Abtransport in Viehwagen kontrastiert.
Benji rastet aus und verlässt die erste Klasse, während James verständnisvoll und erudiert an das Phänomen des Survivor guilt erinnert.
Was wiederum den vollamerikanisierten Mark empört, der erklärt, er sähe nun wirklich nicht den geringsten Grund, sich für irgendetwas schuldig zu fühlen…
Aber die grossen generationellen Traumata sind vor allem der Hintergrund für das Binnen-Dilemma von David mit Benji. Er liebe seinen Cousin, und er hasse ihn, erklärt David den anderen, als Benji mal wieder vor Empörung schäumend davongestürmt ist.
Einst war Benji der bewunderte Draufgänger, der den kleineren, ängstlichen David auch im Sommerlager beschützte. Und nun ist David der erfolgreiche Bilderbuchamerikaner, während Benji seit dem Tod der Grossmutter gar nichts mehr auf die Reihe bekommt. Aber nach wie vor die Herzen der Menschen gewinnt.

A Real Pain ist einer jener kleinen, schönen Filme, die besser bleiben, wenn sie nicht allzu sehr beworben werden. Das ist derzeit nicht so einfach, vor allem, weil Kieran Culkin (der zwei Jahre jüngere Bruder von Kevin Home Alone Macaulay Culkin) nach seinem Erfolg mit der Serie Succession nun als Benji eine tatsächlich oscarwürdige Soloperformance hinlegt, ohne das restliche Ensemble an die Wand zu spielen.
Benji ist die Solitär-Figur. Aber alle anderen sind fein genug gezeichnet, um einem ans Herz zu wachsen. Und dazu gehört auch das überraschende Wiedersehen mit Jennifer Grey als Marcia, siebenunddreissig Jahre nach ihrer Rolle als «Baby» Houseman in Dirty Dancing.
