LE COMTE DE MONTE-CRISTO von Matthieu Delaporte & Alexandre de la Patellière

Der Graf von Monte Christo alias Edmond Dantès (Pierre Niney) © Pathé

Der Graf von Monte Christo sei der erste moderne Superheld, meinte einst Umberto Eco. In der Tat erinnert dieser Edmond Dantès, der nach Jahren der ungerechten Einkerkerung das durch Fügung erworbene Vermögen nutzt, um sich in neuer Gestalt an den Männern zu rächen, die ihn einst verraten hatten, an den rächenden Milliardär Bruce Wayne, an Batman.

‚Le Comte de Monte-Cristo‘ © Pathé

Über dreissig Filme hat die Kinogeschichte aus dem Fortsetzungsroman von Alexandre Dumas spriessen lassen. Und hunderte, wenn nicht tausende von Ablegern, Kopien, Serien sind die legitimen und noch häufiger illegitimen Kinder des Grafen von Monte Christo.

Da braucht es schon Nerven und eine eigene Vision, um eine neue Kinofassung aus den 117 Kapiteln und rund 1400 Seiten des Originals von 1846 in Angriff zu nehmen. Alexandre de la Patellière und Matthieu Delaporte haben ein paar Jahre ihres Lebens investiert und ein ziemlich überzeugendes Konzentrat in drei wahrhaft immersive Kinostunden gepackt.

Matthieu Delaporte & Alexandre de la Patellière Matthieu Delaporte & Alexandre de la Patellière

Sie heissen ähnlich und sie sehen fast gleich aus. Und sie ergänzen sich perfekt bei der Arbeit, die Herren Delaporte und de la Patellière. Als Theater- und Drehbuchautoren, als Produzenten, als Regisseure.

Ihre Drehbücher für Martin Bourboulons spektakuläre Neuverfilmungen der drei Musketiere von 2023 brachten das verstaubte Mantel-und-Degen-Genre auf die Höhe der Zeit.

Pierre Niney © Pathé

Les Trois Mousquetaires : D’Artagnan und Les Trois Mousquetaires : Milady waren nicht einfach Neuauflagen des klassischen französischen Kinostoffes. Bourboulon und seine Autoren ergänzten die Geschichten der wohlbekannten vier Musketiere und ihrer Familien um wilde Backstories und neue, attraktive Figuren.

Das Diptychon aus zwei auf einmal gedrehten und im Jahresabstand herausgebrachten Filmen war ziemlich erfolgreich, wohl auch darum, weil den swashbuckelnden Männern aktive und eher moderne Frauenfiguren zur Seite (und gegenüber) gestellt wurden.

Eva Green in ‚Les Trois Mousquetaires : Milady‘ © Pathé

Insbesondere die von Eva Green verkörperte «Milady» des zweiten Teils sorgte schon im ersten dafür, dass sich auch ein weibliches Publikum endlich mitgemeint fühlen durfte.

Der Erfolg der neuen Musketiere hat nicht nur die Pläne für Delaporte und de la Patellières Monte-Christo-Hoffnungen beflügelt, sondern auch für ein brauchbares Budget gesorgt. Was selbst im kinoverrückten Frankreich mit seiner staatlich geförderten Industrie nicht selbstverständlich ist.

Geholfen hat dabei wohl auch das durchdachte Konzept, das die zwei Autoren auf die Beine stellten. Sie wollten einerseits so nahe wie möglich an der Vorlage von Dumas bleiben, aus Respekt für den Roman, von welchem Umberto Eco meinte, er sei nicht als Kunst konzipiert, sondern «mythopoetisch», das Ziel sei, einen Mythos zu erschaffen.

Und sie wollten die Atemlosigkeit, die Spannung, die Serialität – heute könnte man auch sagen die «bingeworthiness» des Originals nicht aufs Spiel setzen. Das sei der Grund dafür, dass sie sich für einen Dreistünder entschieden hätten und nicht für einen Kinomehrteiler, sagt Alexandre de la Patellière:

« À l’image du page-turner que constitue le roman, il fallait que toute l’histoire se déroule dans un même laps de temps, que la tension amassée dans la première partie du film trouve son dénouement dans la même œuvre. Impossible de dire au spectateur: sortez du Château d’If et revenez dans six mois pour connaître la suite ! »

(Wie der Pageturner des Romans musste die gesamte Geschichte in derselben Zeitspanne ablaufen, die Spannung, die sich im ersten Teil des Films aufgebaut hatte, musste im selben Werk aufgelöst werden. Es ist unmöglich, dem Zuschauer zu sagen: „Verlassen Sie das Château d’If und kommen Sie in sechs Monaten wieder, um zu erfahren, wie es weitergeht!“)

So packen die beiden Autorenregisseure den wesentlichen Teil der Handlung und der Figuren getreulich in diese drei Stunden Leinwandspektakel. Sie reduzieren die Vorgeschichte und die Jahre im Verlies auf die erste Stunde und lassen dann den als Graf von Monte Christo als getriebenen Rächer auftretenden Edmond Dantès gleich reihenweise durch die Abenteuerkino-Genres oszillieren.

Laurent Lafitte, Patrick Mille, and Bastien Bouillon © Pathé

Vom Gefangenen von Alcatraz wandelt er sich zu Fantômas in Mission Impossible samt Gesichtsmasken und Allianzen, er sitzt mit seinen Feinden am Spieltisch und tanzt mit ihren Frauen, wie James Bond und er vernichtet sie schliesslich mit den modernen Mitteln der Börsenkriegsführung und Gerichtsbemühung.

Laurent Lafitte, Patrick Mille, and Bastien Bouillon © Pathé

Was ihn allerdings nicht daran hindert, am Ende, wie es sich gehört, seine Nemesis mit dem Degen zu durchbohren, nach langem, perfekt choreografiertem Kampf.

Reduziert haben die beiden Filmemacher Dumas’ endloses Arsenal drittrangiger Nebenfiguren; dafür haben sie die geeigneten Frauenfiguren aufgewertet, von passiven Schmacht- und Liebesträumen zu aktiven, moralisch dezidiert und entscheidend auftretenden eigenständigen Figuren.

Bastien Bouillon, Anaïs Demoustier, Pierre Niney © Pathé

Den kleinsten Spielraum gewähren sie dabei Dantès geliebter Mercédès Herrera, was die stets wundervolle Anaïs Demoustier allerdings mehr als wett macht mit ihrer vibrierend indignierten Darstellung.

Und aus der tragisch-schönen Lockvogelverschwörerin Haydée der Vorlage machen sie mit Hilfe der tatsächlich hinreissend schönen Annamaria Vartolomei (L’évènement) eine zögerliche Rachegöttin, eine femme fatale, die zusammen mit Mércèdes das moralische Gegengewicht liefert zum verbissenen Dantès. Das ist zwar in der Vorlage schon deutlich angelegt, aber beide Frauenfiguren wirken in diesem neuen Film überraschend gegenwärtig .

Anamaria Vartolomei als Haydée © Pathé

Le comte de Monte-Cristo ist ein paradoxes, vergnügliches Kinospektakel : Während die Serien der Streaming-Anbieter zunehmend auf Cliffhänger und Überraschungen mit fast schon negativer Halbwertszeit setzen, haben wir es hier mit Action- und Emotions-Schauwerten zu tun, die samt und sonders aus der Mottenkistenbeständen der wirkungsvollsten Kinogenres zusammengenäht wurden – und gerade darum richtig einfahren.

Im Kino in der Deutschschweiz ab 23. Januar 2025

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