
Das definierende Zitat in diesem Dokumentarfilm stammt nicht von seinem Protagonisten, dem Strafverteidiger Bernard Rambert:
«Ein brillanter Strafverteidiger ist jemand, der Erfolg hat, weil er nach Lösungen sucht. Das heisst, er arrangiert sich mit der Justiz. Das will ich nicht. Ein Anwalt, der sich mit der Justiz arrangiert, hat für mich keinen Wert.»
Die Aussage stammt vom Schweizer «Ausbrecherkönig» Walter Stürm, als Antwort auf die Frage eines Journalisten, warum er stets linke Anwälte bevorzuge, statt sich einfach einen brillanten Verteidiger zu suchen.
Stürm war einer von den vielen Klienten, welche dem jungen Juristen Bernard Rambert den Übernamen «der Rote Beni» eingetragen hatte. Klienten wie Petra Krause oder Marco Camenisch, die von der staatlichen Justiz dem RAF-Terror zugeordnet wurden.

Christian Labhart hat das Stürmzitat illustrativ in seinen Film eingebaut, Archivmaterial aus der seinerzeitigen Medienberichterstattung, wie viele der dokumentarischen Originalszenen in Suspekt.
Sie werden immer dann eingeschnitten, wenn Rambert im inszenierten Gespräch mit der «Widerspruch»-Autorin Julia Klebs sich auf prägende Episoden oder Menschen in seiner Karriere bezieht und sie liefern den Kontext, mit diesem post-festum-Effekt, der gut abgehangenes Archivmaterial auf besonders überzeugende Weise herstellt.
Szenen aus den 1980er Jugendunruhen in Zürich, kämpfende Frauen im Vietnamkrieg oder auch einfach eine kleine Sequenz in Schwarzweiss, in der ein Zöllner am Grenzübergang der Brücke nach Deutschland in Zurzach am Rhein (heute Bad Zurzach) das legendäre Plakat mit den gesuchten Terroristinnen und Terroristen der Baader-Meinhof-Gruppe aufhängt.

Suspekt sei von der Konzeption her darauf angelegt, Bernard Rambert möglichst viel Raum zu geben, sagt Regisseur Christian Labhart: «Der Film ist filmisch nicht besonders interessant. Es geht mir um den Inhalt, nicht um Kunst, darum, dass Rambert so viel Platz wie möglich erhält, sein Leben und Wirken darzustellen. Dafür muss ich ihn nicht im Fitnesscenter oder beim Kochen zeigen».
Was nun aber nicht bedeutet, dass der Gestaltung von Suspekt keine grosse Bedeutung beizumessen wäre. Da ist einerseits das professionell ruhig und einfach gehaltene Gesprächssetting, in dem sich Rambert und Klebs gegenübersitzen. Weitgehend fixe Kameraeinstellungen mit Rambert vor dem hellen Hintergrunde einer Fensterfront, Klebs dagegen vor dunklem Hintergrund, so dass Schnitt und Gegenschnitt stets eindeutig zu verorten sind.
Die Ausleuchtung ist eindrücklich klar, auf beiden Gesichtern sind die die Emotionen deutlich sichtbar, aber auch das Zögern, die leise Ironie, wenn Rambert mit professioneller und erfahrener Klarheit auf die eine oder andere Frage erklärt, dazu sage er jetzt nichts. Oder die Nervosität der Befragerin, welche ihren kritischen Auftrag mit ihrer klar sympathisierenden Haltung in Einklang bringen muss.

Überhaupt bilden die Widersprüche und Verwerfungen einen spannenden Generalbass in diesem Film, der in seinen kurzweiligen 82 Minuten ein breites historisches Panorama zur jüngeren Schweizergeschichte ausbreitet.
Denn einerseits zeigt die zeitliche Distanz zu den Anfängen von Ramberts Engagement im Anwaltskollektiv in vielen Fällen, dass die radikalen jungen Linken damals allen ideologischen Parolen zum Trotz den klareren Blick auf unsere Gesellschaft hatten, als die etablierte Macht, die gewählten Politiker oder eben «das System».

Heute wirkt die Antwort auf Frage nach den Wurzeln des Terrors der 1970er Jahre nicht mehr spekulativ oder entschuldigend, heute ist unbestreitbar, dass die Altlasten des 1000jährigen Reiches die BRD und ihren offiziellen Apparat durchzogen hatten wie die Spuren der Basler chemischen Industrie die Böden beidseits des Rheins.
Zugleich ist natürlich auch die gezielte Auswahl des Archivmaterials eine unauffällige Möglichkeit, die Erinnerungen und Erläuterungen Ramberts zu unterstützen. Wenn etwa die Bilder aus dem Vietnamkrieg kämpfende Frauen zeigen, wirkt das deutlich anders als die hundertfach gesehenen symbolträchtigen Bilder von Mỹ Lai oder der Erschiessung eines Offiziers.
Aber Labhart (und Rambert) bleiben trotz Rückblick sehr gegenwärtig in den zentralen Fragen nach Motivation und Antrieb. Der Film steigt ein mit dem «Fall», der die Schweiz bis in die Gegenwart beschäftigt, der Behandlung von Brian durch Justiz und Strafvollzug in der Schweiz, und er nimmt auch die jüngsten Entwicklungen wieder auf, inklusive Ramberts Reaktion darauf – noch im Abspann.
Und wenn im Zusammenhang mit der exemplarischen Anklage der Protagonistinnen des Basler Frauenstreiks von 2022 die 68er-Parole «Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht» wieder einmal direkt in die Fernsehkamera deklariert wird, gewinnt auch die wieder neue Brisanz.
Alles in allem ist sich nicht nur Bernard Rambert treu geblieben (wie er selbst mit berechtigtem Stolz im Film sagen darf), sondern auch Filmemacher Christian Labhart. Anders als mit seinem grossangelegten, aber auch revolutionsnostalgisch unterfütterten Film Passion von 2019 geht er dieses Mal nicht mit spürbarer Wehmut ans Werk, sondern wieder mit dem direkten, agitatorischen Impetus, der auch sein anwaltschaftliches Tibeter-Plädoyer mit Heidi Schmid von 2021 bestimmte.
Suspekt ist an diesem neuen Film gar nichts. Im Gegenteil: Alles leuchtet ein, ist nachvollziehbar und wirkt fast schon erschütternd aufklärerisch angesichts der rundum aufpoppenden Demagogie unseres zumindest medial schon fast postfaktischen Zeitalters.
Solothurner Filmtage 24. und 27. Januar
Kinostart Deutschschweiz: 20. Februar 2025