
«Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen» … den Satz zu lesen, das heisst, die Melodie zu hören. Mit dem unverkennbaren tiefen Timbre von Zarah Leander. Oder vielleicht auch mit der exaltierten Phrasierung von Nina Hagen.
Das Lied sang Zarah Leander im Nazi-Propaganda-Film Die grosse Liebe von 1942, einem der grössten Publikumserfolge aus Goebbels‘ Unterhaltungsmaschinerie. Die Regie hatte Routinier Rolf Hansen. Aber den grossen Hit, das Lied, das hatte ein Duo geschrieben, dessen Namen heute nicht mehr so geläufig sind:

Texter Bruno Balz und Komponist Michael Jary waren eines jener kreativen Freundschaftsgespanne, deren Namen für immer gemeinsam genannt werden. Wie Rodgers und Hammerstein in der Broadway- und Hollywood-Musical-Geschichte, oder Goscinny und Uderzo, die als Texter und Zeichner den französischen Comic-Evergreen Asterix erschaffen haben.
Dass beide ihren grossen Durchbruch unter Hitler und Goebbels und in der Propaganda-Blüte des deutschen Tonfilms hatten, nimmt dieser fröhliche Dokumentarfilm von Martin Witz (The Substance – Albert Hofmann’s LSD, 2011) zum Anlass, überraschend gründlich zur Rolle jener Künstlerinnen und Künstler zu recherchieren, die sich mit der Macht im Nazireich arrangiert hatten.

Das ist doppelt spannend, weil sowohl Balz wie auch Jary erfolgreich geblieben sind, durch die Jahre des fröhlichen Verdrängens und jene des Wirtschaftswunders, ja sogar in die Hochblüte des Fernsehens hinein, mit Jary als Komponist und Bandleader und Balz schliesslich gar als überraschender Texter für den Schlagerwunderknaben Heintje. Denn dem gewitzten Balz gelang es, die 1941 eingedeutschte Version eines italienischen Schlagers von 1938 («Mutter!») in der neuen Version als «Mama» durch die 1960er Jahre hindurch immer wieder zu rezyklieren, bis Heintjes Version 1967 zum Superhit wurde und den ohnehin schon reichen Balz noch reicher machte.
Aber wirklich interessant macht den Film und die Geschichte des erfolgreichen Duos der Umstand, dass sie eigentlich beide zu den durch die Nazi Verfolgten gehört hatten.

Michael Jary war nach Berlin gekommen, um bei Schönberg und Strawinsky Komposition zu studieren. Nachdem aber sein für das Hochschul-Abschlusskonzert komponierte Stück als «kulturbolschewistisches Musikgestammel eines polnischen Juden» verunglimpft wurde, tauchte er erst einmal unter und begann, unter Pseudonymen jazzige Arrangements und Chansons zu schreiben – ziemlich erfolgreich.
Bruno Balz seinerseits war selbstbewusst und (so weit möglich) relativ offen schwul, was ihn schliesslich ins Gefängnis brachte (Zeitzeugen im Film vermuten, dass ihm eine Falle gestellt worden war). Und aus dem Gefängnis holte ihn dann Jary wieder raus, indem er Goebbels erklärte, ohne seinen genialen Texter könne er die von ihm erhofften grossen Hits für die Ufa-Filmproduktionen nicht produzieren.

Martin Witz kombiniert in bester Dokumentarfilmmanier Filmausschnitte, Dokumente, Fotografien und die Erinnerungen von Zeitzeugen Archivmaterial und den Erzählungen und Einschätzungen von Jarys Tochter Micaela Jary, Journalistin und Autorin Klaudia Wick oder auch dem Filmhistoriker und Medienwissenschaftler Rainer Rother.
Dabei entsteht ein Bild einer grossen und produktiven Freundschaft. Die beiden Männer hatten ihre Wohnungen im gleichen Haus in der Berliner Fasanenstrasse, Jary mit seiner Familie, Balz als gut vernetzter Junggeselle. Und in all den Liedern und Filmen aus der Nazizeit lassen sich immer wieder Spuren finden von Doppeldeutigkeiten, von gut versteckten Umdrehungen.

So sollen in einer grossen filmischen Revuenummer mit Zarah Leander ein Teil der grossgewachsenen Frauen neben ihr von strammen Nazi-Männern verkörpert worden sein. Oder die Durchhaltenummer «Ich weiss, es wird einmal ein Wunder geschehen» lässt sich wunderbar auch als Hoffnungsschimmer auf eine Zeit nach dem Nazi-Terror umdeuten.
Martin Witz gibt diesen Interpretationen Raum und Leichtigkeit und präsentiert sie sehr einleuchtend. Insbesondere die 1950er Jahre mit dem Wunsch der Deutschen, möglichst viel zu Vergessen und zu Verdrängen, werden sehr plastisch über die vielen musikalischen Importe und Anpassungen, das betont harmlos biedere Kino und die kunstvollen Arrangements von Balz und Jary, die es immer wieder schaffen, das Simplistische und Eingängige mit Perfektion, Witz und eleganten Handwerk über sich hinauswachsen zu lassen.

Das ist es schliesslich auch, was Im Schatten der Träume zu einem vielschichtigen und zugleich erfreulichen Erlebnis macht: Die historisch sorgfältige Analyse der populären Kultur trägt einmal mehr diesen zeitgenössischen Sprengstoff in sich, den das Publikum nicht unbedingt erwartet.
Das scheinbar leicht und fröhlich kombinierende Handwerk des Dokumentarfilmers Martin Witz besticht wie die Arbeit seiner Subjekte mit Intelligenz und verführerischer Mehrdeutigkeit, dort, wo sie hilft, den Blick am Ende doch zu schärfen.
Vorstellungen an den Solothurner Filmtagen: 24. und 26. Januar 2025
In den Kinos der Deutschschweiz ab Ende Januar 2025
