BILDER IM KOPF von Eleonora Camizzi

© am Limit GmbH

Ist es «paranoide Schizophrenie»? Vincenzo Camizzi, genannt «Vinci», erklärt seiner Tochter, er habe eine Diagnose. Das heisst: Er hat eine bekommen, vor vielen Jahren. Mit dem Label, den Wörtern, war und ist er nicht einverstanden.

Viel später in diesem schlichten, hinreissenden Dokumentarfilm wird er einmal erklären, was abgeht, wenn die Bilder im Kopf seine Wahrnehmung bestimmen. Da seien fünf Typen lautstark am Streiten miteinander. Alle seien Diktatoren. Und alle sähen sie aus wie er.

Eleonora Camizzi hält mit diesem experimentellen Dokumentarfilm nicht einfach fest, was ist, und was war. Sie verändert die Wirklichkeit, sie greift ein in die Gegenwart.

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Die Tochter, die ihren Vater schon in der Kindheit bestenfalls jedes zweite Wochenende einmal gesehen hat, die Tochter, die sich daran erinnert, dass sie und ihre Mutter manchmal Angst hatten vor ihm, sie kreist das alles ein, in einem filmischen Setting, das genau so fliessend, logisch und manchmal verwirrend wirkt, wie die Beziehung der beiden.

Der Vater, etwas kleiner und doppelt so alt wie die dreissigjährige Tochter, mit grauem Bart, Rossschwanz und Bauch, ist in strahlendes Weiss gekleidet. Ebenso die Tochter. Sie bewegen sich in einem strahlend weissen Raum, halb Zelle, halb Ferienwohnung.

Durch das Fenster im Hintergrund ist das Meer zu sehen, das sizilianische, wie später klar wird. Denn aus Sizilien stammt die Familie, aus Italien haben seine Eltern den kleinen Vincenzo in einem Überseekoffer in die Schweiz geschmuggelt, damals, als den «Gastarbeitern» der Familiennachzug in die Schweiz streng verboten war.

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Das alles, und viel, viel mehr, erfahren wir aus den manchmal leichten, manchmal schwierigen Dialogen zwischen Vater und Tocher.

Manchmal raucht der Vater eine Zigarette am Fenster und lässt den Rauch übers Meer davonziehen. Manchmal paddelt jemand vorbei auf dem Wasser und winkt.

Und irgendwann geht die Kamera ein wenig weiter zurück und wir sehen, dass die drei Wände des Zimmers im Studio aufgebaut sind, das Fenster sich auf einen Greenscreen öffnet, dass die Bilder draussen Bilder im Kopf sind. Und dann, wieder viel später, ist wieder alles anders.

Dass hier eine Tochter und ein Vater um ihr gegenseitiges Verhältnis ringen, in einem abgesprochenen, kollaborativen und vor allem perfekt inszenierten, auf Öffentlichkeit zielenden Rahmen, das allein ist schon berührend.

Dazu kommt die Musik, Lieder, die gezielt eingreifen, untermalen, illustrieren.

Vater und Tochter sind voll guten Willens, aber das hilft nicht immer. Ihr Ärger misst sich mit seinem, Kartenspiele wechseln sich ab mit Interpretationsvarianten, der schlitzohrige Humor des Vaters trifft auf die unterdrückte Wut der Tochter und zugleich ist das ein hinreissender, schwebender Tanz um eine gemeinsame Wahrheit.

Bilder im Kopf ist eine Generationengeschichte, ein Stück Schweizer Vergangenheit und Gegenwart um Immigranten, Fremdenfeindlichkeit, Familie.

Mit so viel Leichtigkeit so viel Schmerz zu attackieren, das macht diesen Film zum Erlebnis und zu einer guten Erinnerung.

An den Solothurner Filmtagen noch einmal zu sehen am 26. Januar 2025

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