
Manchmal gibt es nichts Schöneres, als sich in den bittersüssen Erinnerungen von jemand anderem wiederzufinden. Dieses unwahrscheinlich zu Herzen gehende, semi-stationäre Berliner Roadmovie weiss nicht nur, was Sehnsucht sein sollte. Es versteht sich auch darauf, damit lakonisch zu zündeln.
Kell (gespielt von Regisseur Jack Rath) ist ein alternder Rockmusiker aus Australien, der in Berlin hängen geblieben ist. Zu Beginn des Films treffen wir ihn unter einem Mischpult in seinem Tonstudio, das ihm nicht mehr gehört, weil es, wie so vieles in Berlin, Pleite gegangen ist.
Der junge Schnösel, der den Laden jetzt manatscht, erklärt einem potentiellen Kunden gerade auf Denglisch, dass der einstige Besitzer des Studios jetzt hier ihr «Handyman» sei, der Haustechniker. Das sei praktisch, weil der schliesslich jedes Kabel kenne.

Aber da hat Kell schon anderes zu tun. Joe (Michael Ferguson), ein einstiger Bandkollege, ist offenbar aus England angereist. Jedenfalls hat er Kell eben vom Mobiltelefon eines Fremden aus der U-Bahnstation am Heinrich-Heine-Platz angerufen, er soll ihn doch dort abholen kommen.
Joe hat nicht nur kein eigenes Telefon, er hat auch keine fixe Adresse mehr und gekommen ist er, weil er mit Kell zusammen der verstorbenen Sängerin (und zeitweiligen Freundin von beiden) die letzte Ehre erweisen möchte.
Dass Joe Viv gleich mitgebracht hat, beziehungsweise ihre Asche, in einer zugeklebten Biskuitdose voller Hasch-Cookies, das verblüfft Kell dann nur noch milde. Und die Aufforderung, er solle mit Joe zusammen an den Lorelei-Felsen im Rhein fahren, um Vivs Asche dort ihrem Wunsch gemäss zu verstreuen, die leuchtet ihm nach kurzem Zögern sogar ein.
Damit wird auch gleich klar, warum Kell Joe ausgerechnet in der U-Bahn-Station vom Heinrich-Heine-Platz abholen soll. Denn Heines Loreley-Gedicht bildet schliesslich so etwas wie das Leitmotiv dieses verschroben herzlichen Films:
Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Mährchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Biscuit Tin Blues lebt von Figuren, die ihre hoffnungsvollsten Zeiten längst hinter sich haben. Kell hat sich in Berlin arrangiert, lebt mit seiner sehr liebevollen Freundin Amelie in einer Wohnung, in der noch seine Gitarren und Verstärker herumstehen, die er schon lange verkaufen will – und dann doch immer wieder kneift, wenn ein Käufer auftaucht.
Joe seinerseits ist impulsiv, freiheitsliebend und in manchen Dingen der Gegenwart völlig abhold. Er ist der Punkrocker geblieben, auch wenn er, als Brite, im Anzug auftaucht.
Jack Rath spielt mit vielen Elementen des unabhängigen Kinos, mit Berlin und seiner etwas wehleidigen Künstlernostalgie, mit der Abgeklärtheit des Expats, der längst neu verwurzelt ist, mit der Wehmut der sesshaft gewordenen Weltenbummler und natürlich mit den Erinnerungen an frühere Liebe samt Eifersucht und Rivalität.

Dazu kommt der bisweilen grossartig absurde Kampf mit der gegenwärtigen Technik, insbesondere dem Elektroauto, das die beiden für ihre lange Fahrt von Berlin an den Rhein mieten. Da regt sich Joe schon auf, als sein Bargeld verweigert wird, der Rental-Service besteht natürlich auf Kreditkarte.
Dann spinnt die Bordelektronik auf vielfach grossartige Weise und die beiden alten Freunde und Rivalen müssen sich auch immer wieder zusammenraufen.
Der Film ist mit einfachen Mitteln und grossartigen Schauspielerinnen und Schauspielern sehr unaufdringlich und kompetent gemacht. Abgesehen von der wilden 80er Jahre Collage des Vorspanns ist da keine Spur vom bisweilen prätentiösen Kunstwillen der älteren jungen Berliner Schule.
Letztlich ist die grosse Stärke von Biscuit Tin Blues gerade der Ex-Pat-Blick des Schweizer-Australiers und des Briten auf das einstige und heutige Berlin. Der wirkt auch im manchmal etwas ausufernden Road-Movie-Teil sehr erfrischend, bis hin zu den ganz kleinen, grossartigen Vignetten wie dem lungenrasselnden alten Rheinschiffer im Spital von Sankt Goarshausen in Rheinland-Pfalz, der, ohne das Gesicht zu verziehen, feststellt, Heinrich Heine habe viel für den Tourismus in dieser Gegend getan.
Oder die Episode mit dem Hund der Hotelbetreiberin am Ort, der zufällig die titelgebende Dose mit den Hasch-Cookies findet und leerfrisst, während die beiden Freunde den Weg zum Lorelei-Felsen erkunden.
Klamauk und Nostalgie, Wehmut und Poesie und ganz viel lakonischer Witz: Die Mischung ist wunderbar und Heinrich Heine als Stimmungsbasis sehr effektvoll eingesetzt.
An den Solothurner Filmtagen noch einmal
zu sehen am Sonntag, 26. Januar 2025