
«Versprichst Du mir, dass Du mir das nicht wieder versaust?»
Das fragt Mutter Monica (Lisa Brühlmann) ihre fünfzehnjährige Tochter Valeska (Paula Rapaport), bevor sich die beiden auf den Weg machen, um mit Monicas neuem Freund und dessen Tochter Lena (Malou Mösli) nach Griechenland in die Ferien zu fahren.
In diesem einzigen verzweifelten Appell steckt das ganze Drama dieses Films, offen auf den Tisch gelegt, in den ersten Minuten.
Aber dann beweist Lisa Brühlmann über hundert Minuten hinweg, dass sie nicht nur ihr Handwerk als Drehbuchautorin, Regisseurin und Schauspielerin beherrscht, sondern auch die Themen, mit denen sie seit Beginn ihrer mittlerweile beachtlichen Karriere gearbeitet hat. Familie, Teenager und Eltern und insbesondere das unerschöpfliche, oft dornige Thema Mütter und Töchter.
In Brühlmanns grossem Durchbruchsfilm Blue My Mind, der sie 2017 international bekannt und auch für Produktionsfirmen interessant gemacht hat, ging es um die körperliche und seelische Verwandlung eines Teenagers in eine Frau, mit der ganzen Konfusion, dem Schmerz, den Ablösungs- und Identitätsproblemen. Dafür fand der Film ein phantastisches und wirkungsvolles Bild.

When We Were Sisters ist dagegen schmerzlich realistisch, aber nicht weniger raffiniert gebaut.
Das Drehbuch basiert auf einer doppelten Spiegelkonstellation, die sich bis in die einzelnen Binnensequenzen hinein fortsetzt.

Da ist die überforderte alleinerziehende Mutter, die ihre Tochter mehr oder weniger bewusst für ihr persönliches Schicksal verantwortlich macht. Eine Symbiose aus Liebe und punktuellem Hass, Abhängigkeit und Distanzierungswünschen, sowohl bei der Mutter wie auch bei der Tochter.
Ihnen gegenüber der geschiedene Vater, Jacques (Carlos Leal), ein arbeitsloser Architekt mit einem Alkoholproblem, der versucht, seine Beziehung zur eigenen Tochter zu retten und gleichzeitig die Transition von der alten zur neuen Frau zu bewältigen. Damit ist auch seine Tochter Lena, jünger und scheuer als Valeska für ihn ein gesprungener Spiegel, ein Teil seiner Selbst, aber auch ein Abbild seiner Ex-Frau.
Beiden Mädchen ist die Situation sichtlich unangenehm, die erzwungene Gemeinschaft, der Erwartungsdruck von den jeweiligen Elternteilen sorgt zunächst einmal für ein eher trotziges Ignorieren zwischen Lena und Valeska.
Aber dann nähern sich die beiden an. Sie müssen sich ein Zimmer teilen und teilen schliesslich bald auch ihre Ängste und Sorgen, wobei vor allem die jüngere Lena eine resolute Reife an den Tag legt.

Die Mädchen sind bereit und fähig, zu reflektieren. Sie spiegeln sich gegenseitig Einsichten in die Konstellation, was ihre Elternteile allerdings komplett falsch, um nicht zu sagen spiegelverkehrt sehen:
Für Monica und Jacques wird die Annäherung ihrer Kinder zu einem Bedrohungsbild, dass Valeska für das Abhauen von Lenas kleinem Hund verantwortlich ist, bedroht für Monica vor allem das fragile Verhältnis zu Jacques, eben so wie das spiegelbildliche kleine Punkte-Tattoo, das Valeska Lena auf deren eigenen Wunsch als Sinnbild der Verschwisterung auf in die Daumenwurzel sticht.
Die Kunst von Lisa Brühlmann besteht allerdings gerade darin, all diese Konstruktionslinien vergessen zu machen. Was wir im Kino erleben, ist ein Drama mit Ansage, ein Ablösungs-, Schuldzuweisungs- und schliesslich hoffnungsvoller Versöhnungskampf, in dem die Kinder ihren Eltern die Augen öffnen und sich selbst so weit wie möglich befreien.
Die jungen Darstellerinnen sind sehr überzeugend, da hilft auch die Sprache, die Dialogregie, die nie geschrieben wirkt, sondern lebensecht, bei den beiden Mädchen mehr noch als bei den Erwachsenen.
Während Carlos Leal mit seiner Mischung aus Schwizzerdütsch und Westschweizer Französisch fast jede Dialogklippe auch in den dramatischen Momenten umschiffen kann, hat sich Lisa Brühlmann die härteste Aufgabe selbst gestellt. Dabei meistert sie die Doppelbelastung als Schauspielerin und Regisseurin auch mit Hilfe der Charakterisierung ihrer Figur Monica: Die leicht gestelzte, zu esoterischer Übersteigerung und fataler Küchenpsychologie neigende Sprechhaltung der fast konstant überforderten Mutter funktioniert bisweilen gerade durch die Künstlichkeit überzeugend.
When We Were Sisters ist überzeugendes Kino, ein Filmdrama, das auf der persönlichen Ebene funktioniert, aber zugleich auch als hoffnungsvolle Modellanlage, als Vorschlag, als Demonstration jugendlicher Resilienz.
Das würde dann am Ende wohl auch der verschwundene Hund so bezeugen.
Der Film ist an den Solothurner Filmtagen am 28. Januar noch einmal zu sehen und kommt am 15. Mai via filmcoopi in die Deutschschweizer Kinos.