
Als Schauspielerin ist Lætitia Dosch eine Naturgewalt und schon lange auf der Leinwand. Ihre erste sichtbare Rolle war klein, als Schwester einer der Hauptfiguren in Frédéric Mermouds Complices von 2009. Da war Dosch schon 29 Jahre alt. Aber seither hat sie unaufhaltsam gespielt, in 46 Filmen bis heute, und seit Léonore Serailles Jeune femme von 2019 ist sie ein etablierter Teil des französischsprachigen Kinos.
Sie spielte sehr unterschiedliche Rollen von scheu bis exaltiert. Aber als Persönlichkeit, wie sie etwa in Interviews oder bei öffentlichen Auftritten zu erleben ist, ist sie ein fröhliches, offenes Energiebündel und damit sehr nahe an der Rolle, die sie sich für ihren erste eigene Regiearbeit selbst auf den Leib und die Seele geschrieben hat.
Nur zu gerne stellt man sich vor, dass diese Avril Lucciani, die auf Verteidigung spezialisierte, meist glücklose Anwältin eine Art Selbstportrait der Schauspielerin sei. Zumal sie etwa anlässlich der Filmvorführung an den Solothurner Filmtagen schon vorab verkündete, der Film sei ein Herzensprojekt von ihr gewesen, basierend auf einem echten Fall, und unter anderem – psst – auch ausgestattet mit einigen ihrer eigenen sexuellen Fantasien.
Dass diese Fantasien dann im Film zuerst einmal vom dadurch etwas verwirrten Hundeflüsterer Marc (Jean-Pascal Zadi) telepathisch vom angeklagten titelgebenden Hund empfangen werden, ist typisch für den hakenschlagenden Humor dieses Films und seiner Schöpferin.
Denn gleich darauf erklärt Avril, diese Imaginationen, welche Marc vom Hund zu empfangen glaube, die gingen wahrscheinlich von ihr aus. Und schon landen Marc und Avril im Bett, was wiederum Hund Cosmo kurzfristig befremdet.

Aber von vorne: Avril hat vor Gericht die Verteidigung des Hundes übernommen, der eingeschläfert werden soll, weil er Frauen gebissen hat, eine davon ins Gesicht. Das heisst, eigentlich sollte Avril die Verteidigung des Besitzers von Cosmo übernehmen, was sie zunächst ablehnt, weil sie endlich einmal einen Fall gewinnen möchte. Und das ist erst einmal aussichtslos hier, die Rechtslage ist eindeutig.
Aber den Blicken von Hund und Besitzer kann Avril nicht widerstehen, und so entwickelt sie einen neuen Fall, in dem sie versucht, aus der juristischen Sache «Hund» eine juristische Person zu machen. Was ihr gelingt, mit etlichen Rückschlägen.
Also steht schliesslich der Hund vor Gericht, was den Anlass bietet für eine ganze Reihe satirisch-ironischer Gesellschaftsbetrachtungen.
Da ist zum einen die rechtspopulistische Staatsanwältin mit politischen Ambitionen, welche die Todesstrafe für den Hund zum zentralen Punkt ihrer Kampagne macht.
Dann kommt eine Ethik-Kommission vor Gericht zusammen, die neben generellen Ethikern auch religiöse Kontrahenten umfasst und in einem eigentlichn Binnen-Sketch eine ziemlich absurde Argumentationskette schlüssig an die Wand spielt (was zusätzlich witzig wirkt, weil der Filmemacher und Produzent des Filmes, Lionel Baier, einen der Religionsvertreter spielt).

In einer anderen Szene vor Gericht wird gar der Hund selbst befragt; er soll seine Antworten mittels diverser Sprech-Knöpfe übermitteln, was schliesslich zu einer Kakophonie absurder Ausrufe führt.
Parallel dazu baut Dosch diverse Nebenfiguren ein, etwa den Nachbarsjungen der Anwältin, der bei ihr Zuflucht findet vor seinem prügelnden Vater. Der Junge flirtet mit Avril und ist ihr Sparringspartner gegen Mutlosigkeit. Das ist nicht nur meist sehr witzig, sondern auch sehr berührend, mit einem mehr als zufälligen Echo des Songs Luka von Suzanne Vega mit allen Implikationen.
Dazu kommen Einblicke in die Hundepsychologie im Verbund mit menschlichen Verhaltensweisen, ob real oder gut erfunden. Etwa die Erkenntnis, dass Frauen eher von Hunden gebissen würden, weil sie dazu tendieren, in die Knie zu gehen statt sich zu bücken wie die Männer, womit sie aus Hundesicht die Dominanz aufgeben.
Leider gelingt es dem Film nicht mit letzter Konsequenz den Spannungsbogen und die Schlüssigkeit eines «richtigen» Prozessfilmes zu erreichen. Einerseits packt Dosch schlicht zu viel in die kleine Geschichte, andererseits hält sie sich am Ende an die Vorgabe des realen Falles, was zu einem unerwarteten Ton- und Stimmungswechsel führt.

Clint Eastwoods Juror #2 ist zwar erst ein Jahr nach Le procès du chien herausgekommen, aber ein (unfairer) Vergleich drängt sich dennoch auf. Nicht nur, weil Eastwoods Film in Sachen Präzision und Knappheit das pure Gegenteil darstellt zu Doschs überbordend ausgreifender Fröhlichkeit, sondern auch, weil Doschs Anwältin Avril rein physisch bisweilen an Toni Colettes Staatsanwältin in Eastwoods Film erinnert.

Le procès du chien hat schon eine beachtliche Karriere hinter sich, mit einer Weltpremiere am Filmfestival in Cannes im letzten Jahr (inklusive «Palm Dog» Auszeichnung für Cosmo-Darsteller Kodi) und einer gefeierten Aufführung auf der Piazza Grande am letzten Locarno Film Festival. Im April 2025 kommt der Film von und mit Lætitia Dosch nun auch in der Deutschweiz ins Kino, wie es sich gehört auf Französisch mit Untertiteln, auch wenn es der Verleih nicht lassen kann, den etwas peinlichen deutschen Verleihtitelkalauer «Hundschuldig» auch hierzulande aufs Plakat zu pappen.
Le procès du chien ist ausgesprochen vergnüglich und randvoll mit sozialen Einsichten und Kommentaren.
Im Kino ab 3. April 2025