KNEECAP von Rich Peppiatt

DJ Próvai, Móglaí Bap, Mo Chara(II) © Kory Mello – frenetic

Auf der Flucht vor der Polizei in Belfast lassen ein paar Kleindealer einen Plastiksack voller Weed in den Schoss der am Strassenrand sitzenden jungen Kirchendiener Naoise und Liam plumpsen. Worauf die zwei das Zeug während der nächsten Messe über das Weihrauchfass mit der ganzen Gemeinde teilen.

Ein paar Jahre später gibt sich Liam Óg Ó hAnnaidh den Künstlernamen Mo Chara, sein Kindergartenfreund Naoise Ó Cairealláin nennt sich als Rapper Móglaí Bap, und zusammen mit einem unglücklichen jungen Musiklehrer namens J.J. Ó Dochartaigh, der sich auf der Bühne hinter einer Balaclava und dem Mixpult als DJ Próvaí versteckt, rappen sie auf irisch über Sex, Drogen, Polizeigewalt und den nordirischen Alltag.

© frenetic

Das nordirische Hip-Hop-Trio Kneecap gibt es seit 2017, und ihre Geschichte ist tatsächlich filmreif.

Was nicht heisst, dass Regisseur Peppiatt alles fixfertig in den Schoss gefallen wäre.

Zum einen braucht es schon noch ein paar Kniffe mehr, um aus einer unwahrscheinlichen Erfolgsgeschichte einen Filmplot mit historischem und gegenwärtigem Gehalt abzuleiten. Und zum anderen mögen die drei Hip-Hoper echte Bühnentiere sein, aber das Schauspiel musste ihnen auch erst ein acting-coach beibringen, erinnert sich Peppiat.

Aber da gibt es ja auch einiges zu verknüpfen, mit der älteren und jüngeren irischen Geschichte, den “Troubles” in Nordirland, den Jahrzehnten des nationalistischen Terrors, dem angestammten Hass auf England bei den Separatisten und überhaupt dem Trauma der Gesellschaft.

Das alles bringen Peppiatt und seine Darsteller-Protagonisten (die als Drehbuch-Koautoren aufgeführt sind) in einem wild herumeiernden, multimedialen Storymix unter.

Móglaí Bap, Mo Chara(II) © frenetic

Nicht nur formal verdankt dieser rasant pumpende Film viel der Pionierarbeit von Danny Boyle und seinem 28 Jahre alten Wunderwerk Trainspotting.

Gerade was den Umgang mit Drogen und Sex angeht, ist Kneecap ein hochverschuldetes, dankbares Derivat. Und Peppiatt zollt dem Vorbild auch Respekt mit einer witzigen Referenz, wenn J.J. kopfüber in eine Mülltonne taucht, um die aus Versehen weggeschmissenen LSD-Blättchen wiederzufinden. Das bezieht sich natürlich direkt auf ‚The Worst Toilet in Scotland‘ in Trainspotting:

Die Familiengeschichte mit Michael Fassbender als untergetauchtem IRA-Kämpen, der seit zehn Jahren die Legende von seinem eigenen Tod abfeiert, die abgehalfterten, korrupten Idioten der RRAD (Radical Republicans Against Drugs), die agoraphobe Mutter und schliesslich die wilde Georgia, die sich beim Sex mit einem der Irisch-Rapper auf die britische Seite schlägt, um so richtig antagonistisch gepfefferte Erotik zu stimulieren… das ist abgefuckt satirisch und zugleich wohltuend real.

Michael Fassbender © frenetic

Denn der Off-Kommentar ordnet immer wieder alles ein als Teil der nordirischen Traumabewältigung, der Generationenkonflikt verläuft zwischen den Alt-Republikanern und ihrer Selbstromantisierung und den jungen Revoluzzern, welche sich als Potheads tarnen, bis sie merken, dass ein Teil der familiären Wut und Leidenschaft eben auch sie umtreibt.

Auch diese Wahlverwandtschaft, zusammen mit der angeeigneten Musik als Katalysator für das eigene Befinden, hat einen filmischen Vorläufer.

The Commitments hiess Alan Parkers hinreissender Film von 1991, der den Aufstieg und Untergang einer Dubliner Soul-Band feierte. Auch die Jungs und Mädels damals beriefen sich auf die befreiende Kraft der aus den USA importierten schwarzen Musik.

Félim Gormley in ‚The Commitments‘ (1991) © Monopole-Pathé CH

Unvergessen der bleiche Jüngling, der seine Bemühungen auf dem Saxofon mit «I’m black and I’m proud» kommentierte. Auch darauf verweist Kneecap, indem analog für die Kraft des Hip-Hop als Waffe für die unterdrückte gälisch-irische Sprache argumentiert wird.

Kneecap hat Charme und Pep und eine anarchische Wildheit, trotz seiner durchgestylten, aufwändigen und letztlich kalkulierten Machart.

Im Kino ab 20. Februar 2025


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