UNE LANGUE UNIVERSELLE von Matthew Rankin

© outside the box

Es flackert ein wenig auf der Leinwand, da sind Kratzer und Stäubchen zu sehen, wie früher, als Film noch Film war. Und dann ein herzlicher Hinweis:

«Eine Präsentation des Winnipeg Instituts für die geistige Entwicklung von Kindern und jungen Erwachsenen. Im Namen der Freundschaft.»

Winnipeg also. Kanada.

Das ist nicht die «Grundschule Robert H. Smith» © outside the box

Aber warum ist dieses modernistisch-konformistische Backsteinschulgebäude der «Grundschule Robert H. Smith» da in Persia angeschrieben? Warum ist überhaupt alles in Persia angeschrieben und warum reden fast alle Figuren Iranisch? Warum staucht der Lehrer, als er viel zu spät das Klassenzimmer betritt, seine jungen Schülerinnen und Schüler auf Farsi zusammen?

Nicht etwa, weil der Winnipegger Matthew Rankin und seine mitfilmemachenden Freunde Ila Firouzabadi und Pirouz Nemati das Iranische tatsächlich als universelle Sprache begreifen würden, sondern vielmehr jene des Films. Ihres Films.

Denn was sich hier über knapp neunzig Minuten die Waage hält, das sind Absurdität und Vertrautheit, auf fast jeder Ebene.

Willkommen in Winnipeg! © outside the box

Der Film lehnt sich schamlos an bei Abbas Kiarostami, Guy MaddinWes Anderson, und bei deren absurdistisch-melancholischem schwedischem Gegenentwurf Roy Andersson.

Da entschuldigt eine Schülerin ihr Sehunvermögen beim Lehrer damit, dass ihr auf dem Schulweg die neue Brille heruntergefallen sei, worauf diese von einer Truthenne entführt wurde. Was der Lehrer für eine saublöde Entschuldigung hält, entspricht aber den filmischen Tatsachen, wie sich bald herausstellt.

Mit dem Jungen, der als Berufswunsch Eselzüchter angibt, hat der Lehrer auch nicht mehr Geduld. Und das Mädchen, das sich als Groucho Marx verkleidet in die hinterste Schulbank drückt, das schickt er zur Strafe in den Wandschrank. Und gleich darauf den ganzen Rest der Klasse, die alle im Schrank verschwinden, obwohl sie da eigentlich gar nicht Platz hätten.

Groucho Marx wie auch Esel sind offenbar Kindheitserinnerungen von Filmemacher Rankin, wie auch viele andere der episodischen Absurditäten in diesem Film, der sich dann ganz langsam zu einem dicken Zopf emotional verbindlicher Logik zusammendreht, auf das Ende hin.

Da gibt es die Figur Matthew, gespielt vom Filmemacher als tristen Regierungsbeamten, der irgendwann genug hat und im Bus aufbricht in seine alte Heimatstadt Winnipeg, um seine Mutter zu besuchen, mit der er seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte.

Im Regierungsgebäude gibt es zunächst noch ein paar absurde Dialoge und dazu eben so absurde Achsensprünge der Kamera in einem Raum, wie zur Illustration dieses Satzes, der in einem anderen Zusammenhang fällt: «Wir sind für immer in dieser Welt verloren».

…und das ist keiner der Bäume aus «Macbeth» © outside the box

Und im Bus sitzt Matthew ausgerechnet neben dem ungeduldigen Lehrer aus den Anfangsszenen – ohne dass dies für den Storyverlauf eine zwingende Bedeutung hätte.

Es ist davon auszugehen, dass dieser Film, dessen manchmal leise melancholische und dann wieder aufdringlich direkte Komik so vertraut wie fremd zugleich wirkt, für ortskundige Kanadierinnen noch sehr viel mehr Witz zu bieten hat.

Unsereins ist ja schon begeistert, wenn wir den sprachlichen Kalauer der TV-Spot-Figuren Jeanne et Réjeanne Suissûr aufdröseln können (j’en suis sûre… ich bin davon überzeugt…mit kanadisch-fanzösischem Akzent).

… und gar ein Hauch Tati … © outside the box

Zum Ende hin gleiten Melancholie und Poesie Hand in Hand durch die symmetrisch-urbanen Bilder, zwischen diesen vegetationslosen Mauern und Strassen, und wir dürfen anerkennend feststellen, dass Rankin und seine Freunde den angeblichen Fehler des einstigen kurzfristigen 3D-Kino Booms nicht machen.

Denn weil die Leute von den 3D Filmen so überreizt gewesen seien, gäbe es jetzt nur noch eindimensionale Filme.

Zu denen gehört Une langue universelle aber ganz eindeutig nicht.

Der immersionsfördernde Kinobesuch sei allerdings wärmstens empfohlen, denn auf dem heimischen Sofa können diese poetisch-melancholischen, Groucho-marxistischen Eseleien zu einer Geduldsprobe werden.

Im Kino ab 20. Februar 2025


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