
Wer die Nähe nicht mehr erträgt, kann sein Glück immer noch in der Ferne suchen. Aber da hat sich der Mailänder Astrophysiker Paolo Calcidese verrechnet.
Dieser eigenwillig schön mit Realfiktion durchzogene Dokumentarfilm von Leandro Picarella sucht nämlich die Zeichen des Lebens genau dort, wo der bärbeissige Paolo ihnen zu entfliehen versucht: Im abgelegenen Bergdorf Lignan im Aostatal, im dortigen Observatorium.
Er hat darauf gedrängt, die einsame Winterschicht in dieser kleinen Sternwarte weit über dem Lichtsmog der Agglomerationen zu übernehmen.

Aber kaum hat er sich da oben abgeschottet, mit vielen Geräten, Computern und einem kleinen «Pepper»-Interaktionsroboter, den er Arturo nennt, steigt das Teleskop aus. Und der Techniker, der es warten könnte, ist bis zum Frühjahr auf irgendeiner Antarktis-Mission.

So bleibt Paolo nichts anderes übrig, als sich stattdessen mit den wenigen Bewohnerinnen und Bewohnern der umliegenden Bergdörfer zu treffen und ihnen einen Fragebogen zum populären Verständnis der astronomischen Forschung vorzulegen, wie es sich die Sponsoren der Forschungsstation gewünscht haben.
Leandro Picarella holt ein Maximum an poetischer und sozialer Strahlkraft aus seiner semifiktionalen Anlage heraus.
So verschroben die Idee zunächst wirkt: Die Suche nach Lebenszeichen in den Weiten des Weltalls und in der Abgeschiedenheit der Bergtäler leuchtet mit jeder Szene des Films stärker ein. Denn Picarella lässt Calcidese stellvertretend für sein Publikum einen Berührungspunkt nach dem anderen erleben.
Der bärbeissige, grummelige, auf Rückzug bedachte Neuankömmling bekommt von den Einheimischen schnell den Spitznamen «Der Bär» verpasst.

Und das Forschungsgebiet, das er sich als roten Faden für seinen Winter in der Abgeschiedenheit ausgesucht hat, das sind die mikroskopischen Bärtierchen, die Tardigraden, welche wegen ihrer einzigartig extremen Form der Anpassung, der sogenannten Kryptobiose, einen todesähnlichen Zustand annehmen können, bis die Umweltbedingungen wieder besser sind. Tardigraden wurden darum von der Forschung immer wieder auf Weltraummissionen geschickt oder mitgenommen.
Mir als Kinogänger leuchtet die Parallele zwischen Paolo und seinem Lieblingstierchen natürlich viel schneller ein als dem Protagonisten von Picarellas Film. Und das ist nicht die einzige wissenschaftlich unterfütterte poetische Metapher, welche Segnali di vita zu bieten hat.
Leandro Picarella schafft vielfältige Verknüpfungen, lässt Volksglauben und Mythen auf wissenschaftliche Nüchternheit treffen, und dabei verliert nicht nur der Wissenschaftler die eine oder andere unumstössliche Gewissheit.
Dass Segnali di vita dabei nie thesenhaft oder konstruiert daherkommt, liegt daran, dass Picarella eben in erster Linie dokumentarisch arbeitet. Die Menschen, denen Paolo vor der Kamera begegnet, das sind die tatsächlichen Bewohner der umliegenden Ortschaften, und das Spiel, das der Film spielt, das prägte auch die Arbeit des Filmteams.

Leandro Picarella ist sich bewusst, dass dokumentarische Arbeit nie nur abbilden kann, sondern fast immer in einer Wechselwirkung zu ihren Objekten und Subjekten steht:
«Im gesamten Tal von Saint Barthélemy leben etwa dreissig Einwohner, zehn davon im Dorf Lignan, wo sich das astronomische Observatorium befindet. Durch den Film ist die Dorfgemeinschaft selbst neu aufgeblüht, viele Erinnerungen der Bewohner sind wieder lebendig geworden, und die Menschen haben viel über sich erzählt. Dass der Film so zu einer Art Klebstoff für die Gemeinschaft wurde, war nicht beabsichtigt, und doch kann man sagen,dass dies für mich und das gesamte Team ein Geschenk war, vielleicht das grösste.»
Das kleine Basler Produktionshaus Soap Factory ist immer wieder an solchen Kino-Perlen beteiligt, die jenseits aller kommerziellen Überlegungen den Traum vom Film als poetisch-humanem Realitätsprozessor weiter leben lassen.

Und dafür steht letztlich auch der kleine Roboter Arturo im Film, der über seinen ironischen Gimmick-Status als hollywoodscher Sidekick hinaus immer wieder zu rühren vermag mit seinem eher hilflosen Bemühen um Kommunikation.
Am schönsten im absurden Austausch mit Paolo, als ihn dieser nach den Asimovschen Gesetzen für Roboter fragt. Arturo fügt den drei Grundsätzen noch einen vierten dazu: Der Roboter soll seinen Menschen lieben.
«Das hast Du dir jetzt aber selbst ausgedacht», tadelt Paolo.
Schöner können Fiktion und Dokumentation nicht fusionieren.
Im Kino ab 27. Februar 2025
Premieren:
mit Regisseur Leandro Picarella* und dem Produzenten Frank Matter
In Genf in Zusammenarbeit mit CERN und in Anwesenheit des Protagonisten Paolo Calcidese
- BERN* 27.02.25, 20:00, Kino Rex
- ZÜRICH* 28.02.25, 18:15, Kino Frame
- LUGANO* 01.03.25, 17:00, Cinema Iride
- BASEL* 02.03.25, 11:30, kult.kino Atelier
- CHUR* 02.03.25, 17:00 Kinocenter
- VADUZ 15.03.25, 16:00, Altes Kino Vaduz
- LIESTAL 23.03.25, 10:30, Kino Sputnik
- GENF 27.03.25, 18:00, Cinelux
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