
Naima ist der Titel des neuen Films von Anna Thommen. Naima ist auch der Name der Heldin dieses Films. Und Naima ist der Name der engsten Mitarbeiterin der Regisseurin.
Anna Thommen hat Naima Cuica am 14. Juni 2019 in Basel kennengelernt, am Tag des Frauenstreiks. Thommen war als Dokumentarfilmerin unterwegs, die aus Venezuela stammende Cuica als Aktivistin für Lohngleichheit für Migrantinnen. Naima zeigte Anna ein verstecktes Basel, ein Netzwerk aus Freundschaften, Solidarität und gegenseitiger Hilfestellung jener, deren gesellschaftliche Integration und Selbstwertgefühl manchmal in einem prekären Schwebezustand verharren.

Welche Mechanismen da spielen, wo Vorurteile ins Spiel kommen, Rassismus oder auch einfach systembedingte Benachteiligung, das zeigt und erzählt fast beiläufig der Film Naima, ein konsequent inszenierter Dokumentarfilm, beziehungsweise ein gezielt dokumentarischer Spielfilm.
Naima spielt sich selbst. Über vier Jahre hinweg hat Anna Thommen sie begleitet bei ihren Anstrengungen, mit einer Ausbildung zur Pflegefachfrau endlich der Jobunsicherheit im Billiglohnbereich zu entkommen. Entsprechend folgt der Film ganz klassisch der Heldenreise-Formel, mit Erfolgen, Rückschlägen, Enttäuschungen und Überwindung von Hindernissen.
Dass diese Konstruktion gelingt, liegt daran, dass Naimas Geschichte tatsächlich eine echte Geschichte ist, exemplarisch, stellvertretend für viele ähnliche, und einzigartig nur in Bezug auf Naimas Persönlichkeit.
In Kombination mit der Erfahrung von Anna Thommen, ihrem Status als etablierter Schweizer Dokumentarfilmerin und der Thematik ihrer bisherigen Filme, zeigt sich das Arbeitsfeld offen für subtile und auch mal weniger subtile Informations-Inszenierungen.

Wenn Naima bei der Arbeit in der Kantine des Universitätsspitals einem Kollegen die Grundzüge ihrer Biografie und ihrer Familienverhältnisse erklärt, wenn sie viel später, schon im Praktikum als Pflegefachfrau, bei einem Spaziergang mit einem Kunden der psychiatrischen Abteilung von ihren Töchtern erzählt, von denen eine nun endlich wieder bei ihr einziehen wird, was sie auch nervös macht, weil Teenager ja unberechenbar sind, weder Fisch noch Vogel, und die Tochter mittlerweile ein Sohn… dann sind das Szenen, die man einem Spielfilm wegen ihrer durchsichtigen Erklärfunktion allenfalls übel nähme. Hier aber sind das trotz Planung dokumentarische Szenen, echte Vorgänge, echtes Interesse von Menschen aneinander.
Andere Momente treiben die Inszenierung gar auf die Spitze. Wenn die Kamera Naima dabei beobachtet, wie sie nicht einschlafen kann, aus Sorge und Ärger wegen eines nicht bestandenen Praktikums, dann erreicht die Komplizität der Filmemacherin mit ihrer Protagonistin einen deklarierten Höhepunkt.
Und sogar das können die beiden Kollaborateurinnen noch toppen: In einer Szene, in welcher Naima vor Freude über eine gute Nachricht durch die Wohnung tanzt und singt, ist auf der Tonspur das fröhliche Lachen der Filmemacherin hinter der Kamera zu hören. Anna Thommen muss nicht im Bild sein, um ihre stetige Präsenz offenzulegen.
Naima ist ein Gemeinschaftswerk, eine Kooperative, ein (auto-) didaktisches Unternehmen, das Fortbildung und Einsicht in bester Absicht und erfolgreich kombiniert.
Und weil Naima gerade jetzt ins Kino kommt, während auch Petra Volpes mitreissender Spielfilm Heldin den Blick auf den Pflegenotstand und seine Alltagsheldinnen und -Helden lenkt, entsteht eine überraschende Wechselwirkung zwischen diesen beiden Schweizer Filmen.
Im Kino ab 6. März 2025
Zahlreiche Spezialvorstellungen mit Regie und Protagonistin
Entdecke mehr von Sennhausers Filmblog
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.