BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS THOMAS MANN von André Schäfer

Thomas Mann / Felix Krull / Müller-Rosé / Marquis Louis De Venosta (Sebastian Schneider) © Vinca Film

Über die Interferenzen, Spiegelfiguren und Doppelungen zwischen dem Autor Thomas Mann und der Romanfigur Felix Krull, mit der er Zeit seines Lebens nicht abgeschlossen hat, wurde schon viel geredet und geschrieben. Nicht zuletzt von Thomas Mann selbst.

Thomas Mann © ETH-Bibliothek Zürich, Thomas-Mann-Archiv / Fotograf: Unbekannt

André Schäfer nennt seine dokumentarisch unter- und hinterlegte Collage einen «biographischen Film»; als Spiegelfigur für alles steht ihm dabei Schauspieler Sebas­tian Schneider mit beeindruckender Präsenz zur Verfügung. Schneider spielt sie alle: den Autor Thomas Mann, sein Alter Ego Felix Krull, dessen erste Bühnenepiphanie Müller-Rosé oder auch den Marquis Louis De Venosta.

Sebastian Schneider © Vinca Film

Im starken Kontrast zu den fast durchwegs schwarzweissen dokumentarischen Aufnahmen von Thomas Mann, und in eben so grellem Kontrast zu dessen bürgerlich-soignierter Familienvaterfassade, tritt Schneider mit farbenfroh queerer Exaltiertheit ins Bild. Das ist nicht das einzige Element, das diesen Film klar in der heutigen Sicht auf Mann verortet, die geschilderten Beziehungen und Anziehungen werden so sachlich konkretisiert, jenseits von jeglichem historischen Skandalpotential.

Thomas Manns homoerotische Sehnsüchte und Leidenschaften und ihr Niederschlag in literarischen Figuren wurden von ihm selbst ja mit der gleichen Klarsichtigkeit wie die politische Lage oder seine wirtschaftlichen Bedürfnisse analysiert – je nach Gesprächspartnerin, Adressat oder Korrespondent.

Im Film sind es vor allem die Tagebuchauszüge, seine Aufzeichnungen über abendliche Gespräche mit K. (seiner Frau Katia), die deutlich machen, wie sehr der Krull auch sein Eigenbild des Hochstaplers, Verführers, Verstellers repräsentiert.

Erstaunlicherweise sind es denn auch weniger diese Verbindungen zwischen Mann und der Figur, die ihn sein Leben lang begleitet hat, welche den Film bisweilen brandaktuell erscheinen lassen, sondern die Exil-Sequenzen, sein Blick auf Hitlers Deutschland oder später auch McCarthys USA im Koreakrieg. Sowie die Erinnerungen seiner Kinder Erika und Golo an den Vater vor diesen Hintergründen.

André Schäfer, der seine eigene eklektisch-dokumentarische Methode vor drei Jahren mit Alles über Martin Suter. Ausser die Wahrheit. wohl deklariert in den Dienst des Schweizer Bestseller-Autors Martin Suter gestellt hat, spinnt die Fäden nicht nur über die Jahrzehnte hinweg, sondern auch von Drehort zu Drehort. Pacific Palisades in Kalifornien, Paris, Lissabon oder der Rheingau, unter dessen Rebbergen Manns Krull seine Kindheit verbrachte: Schäfer lässt Schneider wie eine literarische Bond-Figur von Kulisse zu Kulisse jetten.

Es mag Momente geben, in denen das alles etwas redundant wirkt, die Gleichsetzung von Mann und Krull etwas gar plakativ. Aber schliesslich versöhnt einem ein besonders hübscher Bild-Einfall mit der Erzähltechnik:

Friedel Anderson, Sebastian Schneider © Vinca Film

Sebastian Schneider sitzt dem deutschen Maler Friedel Anderson, ausgehend von einer weiteren Krull-Passage, Modell für ein Ölgemälde, an dessen Rand der aber schon eine schwarzweisse Fotografie des jungen Thomas Mann gepinnt hat. Und kaum ist das Porträt von Schäfer fertig, übermalt es Anderson mit kräftigen Pinselstrichen, bis von der Leinwand der Thomas Mann der Fotografie mit den Augen Schneiders herunterblickt.

Dieser Vorschlag, die filmische Skizze doch einfach als Grundlage für ein Bild zu nehmen, dass sich jeder und jede nun selbst zurechtlegen möge, das gibt Schäfers Unterfangen am Ende eine erfreulich selbstironische Note.

Im Kino ab 6. März 2025


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