
Dreissig Jahre liegen zwischen Paul Verhoevens Camp-Kult-Satire Showgirls und Gia Coppolas The Last Showgirl. Beide Filme setzen auf Hollywoods spezifische Variante des amerikanischen Traums, auf die Machbarkeit des Imaginierten, die Projektion des Wunsches als Manifestation einer eigenen Wirklichkeit. Und beide Filme nutzen die reale Manifestation dieses «fake it till you make it», die artifizielle Stadt der Show und des Gamblings, Las Vegas.
Beide Filme sind Bestandesaufnahmen der us-amerikanischen Realität, Showgirls jene der gnadenlos egoistischen Rücksichtslosigkeit im Kampf um Erfolg. Und The Last Showgirl zu dem, was die US-Gesellschaft selbst dann noch am Leben hält, wenn alle Versprechen gebrochen wurden: ein Gefühl der Verbundenheit im gemeinsamen Scheitern.

Pamela Anderson, die einstige Baywatch–Strandnixe, spielt Shelly, die in die Jahre gekommene dienstälteste Tänzerin der klassischen Las Vegas Show «Le Razzle Dazzle», die nach sagenhaften 38 Jahren Dauerbetrieb eingestellt wird.
Über Jahrzehnte hat Shelly an ihrem Selbstbild festgehalten, an der Vorstellung, eine professionelle Künstlerin zu sein, ein Teil des Showbiz und damit auch Teil einer mehr oder weniger grossen Familie.

Ihre Tochter Hannah (Billie Lourd) sieht das allerdings anders: «Dafür hast Du darauf verzichtet, mir eine Mutter zu sein?» fragt sie wütend, nachdem sie Shelly zuliebe eine der letzten Vorstellungen von Razzle Dazzle gesehen hat: «Das war es Dir wert, so gut wie immer darauf zu verzichten, mich ins Bett zu bringen?»
Hannah sieht eine abgehalfterte Nudie-Show, eine jener billigen Vegas-Strip-Produktionen, wo ihre Mutter noch immer die glorreiche, fabelhafte Revue vor Augen hat, für die sie ihr ganzes Leben einsetzte.
Hannah sieht eine Lebenslüge, wo Shelly am Traum festzuhalten versucht.

Wie zerbrechlich dieser Traum tatsächlich ist, zeigt Gia Coppola in den ersten Einstellungen ihres Films, als Pamela Andersons Shelly im Hinblick auf das Ende ihres lebenslangen Engagements bei Razzle Dazzle an einer Audition für eine andere Vegas-Show teilnimmt. Wie hart die 57jährige da tatsächlich auf dem Boden der Tatsachen aufschlägt, erleben wir dann allerdings erst deutlich später im Film.
Davor schildert Gia Coppola (eine Enkelin von Francis Ford) die fragile künstliche Welt, in der sich Shelly bewegt. Mit den deutlich jüngeren Kolleginnen, für die sie ein wenig Mutterersatz sein kann, und ein wenig Freundin. Mit dem vom überraschend reif und rührend wirkenden Dave Bautista gespielten Eddie, dem Bühnenmanager, mit dem Shelly eine lange, früh gescheiterte Beziehung verbindet.

Und mit der von der absolut furchtlos uneitlen Jamie Lee Curtis verkörperten Cocktail-Waitress Annette, welche Razzle Dazzle schon vor einiger Zeit altershalber verlassen musste und nun eben, eingetütet in enge Strumpfhosen und ein lächerlich knappes, üppig dekolletiertes Jäckchen älteren Herren und Damen an den einarmigen Banditen eines Casinos ihre Drinks serviert. Ruhestand sei keine Option, meint sie lachend. Eine ihrer Casino-Kolleginnen sei 83 Jahre alt «and still cocktailing», erklärt sie mit Galgenhumor. Ausserdem möge sie den Job und irgendwie auch die Aufdringlichkeiten der Kundschaft.

Gia Coppola hat aus dem nie produzierten Bühnenstück von Kate Gersten mit dieser als Drehbuchautorin einen dieser fast schon archetypischen Showbiz-Las-Vegas-Familien-US-Metaphern-Filme gemacht, die längst ein eigenes Genre bilden, von One from the Heart (1981) zu Showgirls über Casino und Leaving Las Vegas (alle drei 1995) bis zu den diversen Ocean’s-Filmen.
Und da werden für einmal auch all die familiären Beziehungen innerhalb dieser Filmproduktion interessant. Drehbuchautorin Kate Gersten ist verheiratet mit Matthew Shire, dem Sohn von Francis Ford Coppolas Schwester Talia Shire. Robert Schwartzman, Mitproduzent des Films, ist ein Bruder von Matthew, ebenso Jason Schwartzman, der im Film einen Regisseur spielt, nachdem er seine Schauspielkarriere unter anderem bei seiner Cousine Sofia, der Tochter von Francis Ford, begonnen hatte. Dass hier also ein ganzes Geflecht aus einer weitreichenden Künstler- und Showbiz-Familie gemeinsam eine weitere Showbiz-American-Way-of-Life-Metapher inszeniert, verleiht dem Film eine dynastisch-kollektiv unterfütterte Gravitas.

Das scheint auch Regisseurin Gia Coppola durchaus bewusst, jedenfalls lässt sie es zu, dass Barbie-Komponist Andrew Wyatt in The Last Showgirl augenzwinkernd musikalisch Brücken schlägt ins Familienerbe.
Etwa in der sechzehnten Minute, als die Nachricht vom Ende von Razzle Dazzle bei den Showgirls einschlägt wie eine Bombe, schiebt sich auf der Tonspur ein synthetische Helikopter-Rotorengeräusch über die Grundnoten, jenes Fffwupp-ffwupp-ffwupp, das in Francis Ford Coppolas Apocalypse Now die ersten Bilder untermalt und dort dann in den Doors-Song «The End» übergeht.

Und schliesslich nimmt The Last Showgirl auch die Stimmung und den Grundton von Francis Ford Coppolas überambitionierter Showbiz-gleich-Leben-Metapher One From the Heart von 1982 wieder auf, angepasst an die zerrissenen, weitgehend ausgeträumten US of A unserer Gegenwart.
Im Kino ab 20. März 2025
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