
Mirjana Karanović war 2006 Das Fräulein für Andrea Štaka, international bekannt wurde sie aber schon 1985 mit Emir Kusturicas Durchbruch Papa ist auf Dienstreise. 2016 realisierte sie ihren ersten Spielfilm als Regisseurin, A Good Wife (Dobra Žena), und spielte auch gleich selbst die Titelrolle. Für ihren zweiten eigenen Spielfilm hat sich die vielbeschäftigte Schauspielerin Zeit lassen müssen.
Dafür ist Andrea Štaka als Produzentin an Bord bei Majka Mara, die beiden Frauen sind befreundet, nach Das Fräulein war Karanović auch in Štakas Cure und Mare als Schauspielerin dabei. Zu den Filmen, welche sie als Kinogängerin entscheidend geprägt hätten, zählt Mirjana Karanović Liliana Cavanis Il portiere di notte (1974), Andrea Arnolds Fish Tank von 2009 und Štakas Das Fräulein.
Solche Filme wolle sie machen, sagt Karanović in ihrer im Presseheft auszugsweise wiedergegebenen Absichtserklärung zu Majka Mara:
«Filme, die im weiblichen Wesen verborgene Kammern öffnen, die mit Ehrlichkeit schockieren und Emotionen nicht romantisieren. Ich möchte über die unterdrückte Leidenschaft für das Leben sprechen, für den Eros, der Energie gibt und der im weiblichen Wesen seit Jahrhunderten durch die gesellschaftlichen Regeln eingeschränkt und kontrolliert wird. Ich möchte einen Film über Mut und Akzeptanz machen.»
Das ist ihr gelungen mit ihrem Zweitling. Sie spielt ihre Titelfigur Mara Gvozdenović als Verkörperung all dieser gesellschaftlichen An- und Widersprüche, an denen Frauen sich immer wieder abzuarbeiten haben.

Mara ist eine sehr erfolgreiche Rechtsanwältin in Belgrad, wohlhabend, mit schickem Glasbunkerhaus und standesgemässem Auto, und gerade darum bricht sie innerlich zusammen, als ihr zwanzigjähriger Sohn in der Badewanne an Herzversagen stirbt.
Ihre Mutter spricht es nach dem Begräbnisessen, mit dem der Film einsetzt, in brutaler Direktheit aus: «Du hast alle verloren, dein Kind, deinen Mann. Du bist allein in der Welt. Du hast alles verloren, als ob Du verflucht wärst. Dein ganzes Leben war bloss Business und Geld, Business und Geld.»
Und für eine gewisse Zeit sieht sich Mara tatsächlich so, als die Mutter Mara des Filmtitels, die ihren Lebenszweck mit ihrem Sohn verloren hat.
Bis sie merkt, dass ihr Sohn ein eigenes Leben führte, mit einer Freundin, von der sie nichts wusste, Freunden, die sie nicht kannte. Sie macht sich auf die Suche danach, zuerst mit Hilfe des Telefons des Sohnes, dann über einen seiner Freunde, den jungen Fitness-Instruktor Milan (Vučić Perović).

Mit ihm findet sie nicht nur eine neue Perspektive auf das Leben ihres Sohnes, sondern auch zurück zu sich, zu einem eigenen Leben, über eine «unangemessene» sexuelle Beziehung zu dem Mann, der nur halb so alt ist wie sie, über Unverbindlichkeit, Offenheit, Zurückweisung und schliesslich vorsichtiges Einlassen.

Das erste, was an Majka Mara auffällt, ist das in der Regel auf episches Kino ausgelegte Breitwandformat von 2.35 : 1. Für ein sehr auf Innerlichkeit und Zurückgezogenheit ausgelegtes Kammerdrama eigentlich eine paradoxe Wahl. Aber wie so vieles an diesem Film erweist sich auch das Bildformat als radikal öffnend.
In den grossen Räumen ihrer Wohnung wirkt die Figur der Mara in manchen Einstellungen als Raumteiler. Sie ist oft nicht das Zentrum der Bildkomposition, manchmal wörtlich Randfigur. Aber sie bewegt sich zunehmend auf die Mitte zu.
In der engen Wohnung von Milan nutzt die Kamera die Raumaufteilung gar, um einen natürlichen Splitscreen zu generieren, mit Milan in der linken Bildhälfte im Bett liegend, während Mara in der rechten Bildhälfte sein Badezimmer erkundet.

Karanović nutzt die bewährten Mittel des Kinos, indem sie zurückgreift auf bekannte Elemente und diese gezielt einsetzt, um den «unangemessenen» Wünschen, Sehnsüchten und Ängsten ihrer Protagonistin ein sicheres Geleit zu geben.
So, wie das raumgreifende Bildformat nach Harmonisierung ruft, nach gleitender Bewegung, selbst in statischen Einstellungen, so setzt Karanović auch die Musik von Ephrem Lüchinger ein, ein Score, der mit einer gezielten Leichtigkeit das französische Autorenkino der 1960er Jahre evoziert, in dem ebenfalls gesellschaftliche Konventionen auf individuelle Befreiungsbedürfnisse trafen. Dazu passt auch Karanovićs Verweis auf Claude Chabrol, der sie mit seiner Darstellung der weiblichen Sexualität und mit seinen Frauenfiguren sehr beeinflusst habe.
Müsste ich diesem eigenwilligen, ausdrucksstarken Film eine Programmzeile verpassen, sie wäre: «Mutter Maras Menschwerdung».
Aber das klingt aller alliterativen Anbiederung zum Trotz so hässlich, dass es dem Film in seiner ruhigen Schönheit nicht wirklich beikommt.
Im Kino ab 20. März 2025
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