LES BARBARES von Julie Delpy

Sandrine Kiberlain, Julie Delpy, Jean-Charles Clichet, Fares Helou, Ziad Bakri, Dalia Naous © frenetic

Das bretonische Städtchen Paimpont erwartet mit Begeisterung die Flüchtlingsfamilie aus der Ukraine, nachdem im Gemeinderat sogar der Lokalnazi einer Aufnahme zugestimmt hat.

Doch dann kommen statt der erwarteten Ukrainer die Fayads aus Syrien.

«Die Nachfrage nach ukrainischen Flüchtlingen in Frankreich ist zu gross, sie haben keine mehr für uns», erklärt die Lehrerin (July Delpy). Aber hier kann doch keiner Arabisch, meint der Bürgermeister leicht nervös, worauf Anne Poudoulec (Sandrine Kiberlain), die Frau des Ladenbesitzers, ihren Sparkassenberater aus Rennes kommen lässt, um bei Bedarf zu dolmetschen.

Julie Delpy © frenetic

Es braucht Erfahrung und Selbstvertrauen, um stereotype Komödienfiguren mit dramatischem Realismus zu verweben. Von beidem hat July Delpy mehr als genug, ihre satirische Komödie Les barbares provoziert Gelächter, bisweilen peinliche Berührtheit über die Beschränktheit der bretonischen Figuren und dann auch wieder echte Rührung und gar Schrecken, wenn Delpy klar macht, wovor die Fayads aus Damaskus geflüchtet sind, und was sie durchgemacht haben.

Delpy nutzt die französische Filmklamotte der 1970er Jahre mit ihren Dorfbewohnern. Der Ladenbesitzer ist kleinlich und betrügt seine Frau mit der Frau des Metzgers. Der Klempner (Laurent Lafitte) stammt zwar aus dem Elsass, verteidigt aber als Lokalpatriot die bretonische Lebensart gegen die «Barbaren» aus Syrien mit dem ganzen argumentativen Arsenal des Rassemblement national, während der biobauernde Althippie aus Paris (Albert Delpy, Julies Vater) alle Register zieht, um den Rassisten zu ärgern. Der Bürgermeister ist auch der Besitzer des lokalen Sägewerks und stets erpicht auf einen telegenen Auftritt.

Albert Delpy, Dalia Naous © frenetic

Die Konstellation erinnert bisweilen an die Fernandel-Klassiker um Don Camillo und Peppone, mehr noch aber an die liebevollen Franzosenkarikaturen der Asterix-Bände von Uderzo und Goscinny.

Die gebildete, traumatisierte Familie aus Syrien dagegen wird geschildert, wie sie auch in einem Dardenne-Film oder bei Ken Loach auftreten könnte.

Und dazwischen siedelt Julie Delpy die von ihr gespielte Lehrerin Joëlle Lesourd an, als wohlmeinende, politisch linksgrüne, engagierte alleinstehende Dorflehrerin einerseits, als bisweilen leicht hilfloses Gewissen und Vermittlerin zwischen den Syrern, dem Städtchen und dem Flüchtlingshilfswerk an der syrischen Grenze.

Das funktioniert hervorragend, weil Delpy als erfahrene Drehbuchautorin zusammen mit ihren Co-Autorinnen Matthieu Rumani, Nicolas Slomka und Lea Domenech die Komödie als klassisch-dramatischen Fünfakter konstruiert hat, betont transparent. Jeder Akt wird mit einem zusammenfassenden Titel auf über einem Historiengemälde eingeführt, die Bilder zeigen Unterdrückungs- und Befreiungsszenen aus der reichhaltigen französischen (Kolonial-) Geschichte.

Die Verschränkung von Komödie und Drama gelingt auch darum, weil auf beiden Seiten der ohnehin durchlässigen Linie alles möglich bleibt. So ist etwa der dichtende Patriarch der Flüchtlingsfamilie, der die örtliche Wirtin mit seiner Ehrlichkeit zur Ungeniessbarkeit ihrer bretonischen Galetten um den Finger wickelt, und einen in seine hübsche Enkelin verliebten Jüngling zur poesiegetriebenen Werbung animiert, in seiner massiven Körperlichkeit eher ein orientalischer Majestix als ein verlorener Flüchtling.

Laurent Lafitte, India Hair © frenetic

Und umgekehrt fangen die Frauen von Paimpont die Idiotien ihrer Männer mit zunehmender Erkenntnis nicht nur auf, sie solidarisieren sich auch untereinander und mit der syrischen Familie, während sich der Dorfgendarm nicht nur als traumatisierter Gewaltflüchtling aus urbanen Strasssenkämpfen outet, sondern auch über Dalida und Johnny Hallyday einen überraschenden Draht zum gebrochenen Familienvater Marwan (Ziad Bakri) findet.

Albert Delpy, Jean-Charles Clichet, Ziad Bakri, Marc Fraize, Dalia Naous, Laurent Lafitte, Fares Helou, Sandrine Kiberlain, Brigitte Roüan, India Hair
© frenetic

Les barbares ist ein wunderbar französisches Kinostück, ein nachdenkliches, aber zugleich ausgesprochen unterhaltsames Gegengift zu den enorm erfolgreichen, aber inhärent rassistischen Filmen von Philippe de Chauveron (Monsieur Claude und seine Töchter – Qu’est-ce qu’on a fait au Bon Dieu ?).

Im Kino ab 27. März 2025


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