DER EISMANN von Corina Gamma

Konrad Steffen © tellfilm

«Koni, uss dir wird nie öppis…» – Koni, aus dir wird nie etwas werden. Das habe einer seiner Lehrer dem jungen Konrad Steffen prophezeit, erzählt seine Schwester Rose-Marie Stouder-Steffen. Und sein Jugendfreund Vincenzo «Vinci» dal Vesco erinnert sich zufrieden daran, dass Koni und er in der Schulzeit gemeinsam viel Blödsinn gemacht hätten. Die Zahnlücke auf dem Kinderfoto von Koni sei wohl nicht dem natürlichen Ausfall eines Milchzahns geschuldet gewesen, sagt die Schwester. Der Koni, der sei immer schon ein Draufgänger gewesen.

Als der 68jährige Konrad Steffen am 8. August 2020 in der Nähe seiner Forschungsstation in Grönland verschwand, war das ein Schock, nicht nur für seine Freunde und seine Familie, sondern für die halbe Welt. Denn aus Koni war eben nicht nichts geworden, sondern ein weltbekannter Eisforscher, ein Glaziologe, der Mann, der mit seinem Charisma, seiner Leidenschaft für das ewige Eis und mit seinem Auftreten den Klimawandel unaufgeregt, aber belegbar ins öffentliche Bewusstsein gerückt hatte.

© frenetic films

Sein Team vermutet, dass er in der Nähe der von ihm aufgebauten Forschungsstation «Swiss Camp» in eine Gletscherspalte gestürzt sei. In eine jener Eisspalten, von denen erst wenige gab, als er das Camp ab 1990 aufgebaut hatte. Im Jahr nach Steffens Verschwinden musste das Swiss Camp dreissig Jahre nach seiner Erstellung aufgegeben werden: Die Eisdecke war nicht mehr stabil genug, um es zu tragen.

Corina Gamma © frenetic films

Die Schweizer Multimedia-Künstlerin und Dokumentarfilmerin Corina Gamma hat für ihren Film über Konrad Steffen eine geschickte, sehr wirkungsvolle Dramaturgie gewählt. Sie setzt ein mit der Nachricht von Konis Verschwinden, verweist auf den einst geschlossenen gemeinsamen Pakt für einen Film über seine Arbeit, blendet zurück auf frühere Begegnungen und stellt dann ohne Umschweife den charismatischen Mann und seine Leidenschaft ins Zentrum.

Spektakuläre Bilder der kanadischen und grönländischen Eislandschaften, Motorschlittenfahrten, strahlende Männergesichter mit eisverklumpten Vollbärten und immer wieder Koni Steffen, der direkt in die Kamera auf Englisch von seiner Arbeit erzählt: Steffens Charisma und die Schönheit der Eisflächen verbinden sich sehr schnell zu einer unwiderstehlichen Kombination.

© frenetic films

Das erlaubt Gamma schliesslich die organische Montage der Erzählungen von Freunden, Mitstreiterinnen, Familienmitgliedern in immer weiteren Kreisen rund um Koni Steffens Arbeit und Persönlichkeit. Chronologisch und thematisch setzt sich diese Kreisbewegung fort, bis das Ende von Koni Steffen, das Ende seines Swiss Camps und die sich beschleunigende Klimakatastrophe den Sog des Films verdichten.

Es wird nicht ausgesprochen, aber angedeutet: Der Klimawandel hat Koni Steffen umgebracht.

© frenetic films

Dass er an dem Ort verschwunden ist, an dem er sich am liebsten aufgehalten hat, im Eis, das er geliebt und erforscht hat, das suggeriert eine poetische Konsequenz wie sie etwa auch in Werner Herzogs Grizzly Man aufgebaut wird, jener spektakulären Montage aus Originalmaterial und Ortsterminen rund um den Tierschützer Timothy Treadwell, der schliesslich in Alaska von seinen geliebten Bären gefressen wurde.

Auch in der Schweizer Dokumentarfilmtradition schliessen sich nüchterne Faktentreue und poetische Überhöhung nicht aus, man denke da bloss an Hans-Ulrich Schlumpfs Der Kongress der Pinguine von 1993. Schlumpfs Pionierarbeit hat direkt und indirekt zu den Welterfolgen seines einstigen Assistenten Luc Jaquet geführt, zu Filmen wie La marche de l’empereur (2005).

Aber selbst wenn in Der Eismann Sätze fallen wie «Die Seele kennt die Geographie des Schicksals», bleibt Corina Gamma doch vor allem der wissenschaftlichen Arbeit von Konrad Steffen verpflichtet, und der Annäherung an einen Menschen über die Wahrnehmung jener, die ihn ganz unterschiedlich erlebten.

Corina Gammas Der Eismann ist gleichzeitig eine Hommage und ein Dokument zur Arbeit und zum Wesen eines Mannes, der schon in seiner Persönlichkeit (und in seiner öffentlichen Persona) Attraktion und gesunde Distanziertheit vereinigte.

Im Kino ab 4. April 2025


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