
Was für ein Spektakel! Die Eröffnungsszene von Guan Hus modernem China-Western versetzt einen innert Sekunden in diese magische Kinoverzückung, die so rar ist, und so wunderbar. Wir sehen von einem Höhenzug aus eine felswüstensandige Landschaft. Im mittleren Vordergrund rollen Tumbleweeds durchs Bild, auf der staubigen Strasse unter dem Horizont nähert sich vom linken Bildrand her ein kleiner Autobus mit einer grossen Staubfahne.
Plötzlich kommt von rechts im Vordergrund Bewegung ins Bild. Ein Koyote? Wölfe? Nein, Hunde. Hunderte von Hunden, eine Hundehorde rast die Hügelflanke hinab, auf die Strasse zu, ergiesst sich wie ein bellender Bach darüber. Der Bus, jetzt in der Mitte des Bildes, bremst, schlingert und kippt schliesslich in einer weiteren Staubwolke auf die Seite.
Die Hundehorde verschwindet am Horizont.

Diese Szene evoziert so viele Western, so viele Szenen mit der Postkutsche, die in der Ferne auftaucht und im Zentrum der Breitleinwand überfallen wird, aufgehalten von Banditen, oder oder einem Stamm auf Kriegspfad. Und natürlich kommt in den nächsten Einstellungen der einsame Held ins Bild.
Guan Hu kennt die Regeln, er kennt das Kino, er kennt unsere Sehnsüchte: Es sind offensichtlich auch die seinen. Denn was uns der erfolgreiche Regisseur des chinapatriotischen Kriegspektakels The 800 (Pinyin Bābǎi) hier auftischt, ist ein überraschend sozialrealistischer Neowestern.

Black Dog spielt in der chinesischen Provinz im Jahr 2008 kurz vor der Eröffnung der olympischen Sommerspiele in Peking. Die serbelnde kleine Industriestadt Chixia am Rande der Wüste Gobi soll weitgehend abgerissen und neu aufgebaut werden. Und mitten zwischen Niedergang und behördlicher Zukunftspropaganda steht der nach zehn Jahren im Gefängnis zurückgekehrte einsame Held Lang Yonghui, der noch die ein oder andere Rechnung mit seiner Heimatstadt offen hat.
Die realistischen Bilder aus der chinesischen Provinz, die Überhöhung der persönlichen Konflikte im episch-mythischen Westernstil, das alles erinnert an die Verblüffung, welche Guan Hus zwei Jahre jüngerer Kollege Jia Zhangke vor etwas mehr als zehn Jahren mit seiner sozialkritischen Gegenwartsabrechnung A Touch of Sin ausgelöst hatte. Ich jubelte damals aus Cannes:
Ein Hauch von Sünde? Der Titel könnte mit der gleichen Ironie auch ‚For a Fistful of Renminbi‘ lauten. Jia Zhangke ist mittlerweile ein Veteran der politisch bissigen chinesischen Filme, und dieser hier beisst nach allen Seiten. Gleichzeitig ist das ein enorm unterhaltsames Stück chinesischer Gegenwartsbewältigung, hundertunddreiunddreissig Minuten mit Power.
Jetzt spielt eben dieser Jia Zhangke den zwielichtigen, aber meist wohlmeinenden Restaurantbetreiber und Gangsterboss Onkel Yao, der versucht, dem verlorenen Sohn der Stadt die Reintegration zu erleichtern.

Den wortkargen Aussenseiter Lang Yonghui, diesen Mann mit den offenen Rechnungen, die Clint-Eastwood-Figur, die spielt ausgerechnet der taiwanesisch-kanadische Sänger, Schauspieler, Sonnyboy und Superstar Eddie Peng, mit rasiertem Schädel und überzeugend sturer Verschwiegenheit.
Seine Gegenspieler (und, wie es sich gehört, schliesslich Freunde und Verbündete) sind der titelgebende schwarze Hund und der Schlangenfarm- und -Grill-Betreiber und Gegengangangster «Butcher» Hu (Xiaoguang Hu). Hu macht Lang für den Tod seines Neffen verantwortlich. Lang war der Star des Rummelplatzes seines Vaters, der allseits bewunderte Motorradstuntfahrer, bis eben Hus Neffe mit dem Motorrad zu Tode kam und Lang dafür verantwortlich gemacht und ins Gefängnis gesteckt wurde.

Der Schwarze Hund dagegen, das ist dieser geheimnisvolle schwarze Windhund, der den Hundefängern immer wieder entkommt. Um die Gegend für mögliche Investoren attraktiver zu machen, hat Uncle Yao eine Hundefängerstaffel auf die Beine gestellt, welche die Streuner zu hunderten jagt, einsammelt und in ein grosses Wüstencamp abtransportiert.
Nur der schwarze Hund, der ist zu schnell, und zu schlau. Er versteckt sich in einem aufgelassenen Gebäude im Keller, vor dem er und Lang auch ihre erste Begegnung haben. zuerst jagt Lang den Hund, dann dieser ihn, schliesslich kommunizieren die beiden, indem sie abwechselnd an die gleiche Gebäudeecke pissen.

Die Gemeinsamkeit der beiden Aussenseiter ist von Anfang an offensichtlich und der Film steuert auf die unumgängliche Annäherung und Freundschaft mit zwingender Verspieltheit zu. Schliesslich befinden sich Lang und Hund unter Tollwutverdacht gemeinsam in heimlicher Quarantäne.
Guan Hu verwebt die Spielregeln von Western und Neo-noir, von Triaden-Film und Provinzgangster-Epos dermassen organisch in Black Dog, dass einem dieser nostalgische Hauch von grossem Kino permanent umspielt, wie ein warmer Wüstenwind.
Der Rummelplatz, der abgebaut wird, samt dem grossen, an das Hollywood-Sign erinnernden Schriftzug, der Zoo, dessen Tiere fast alle verkauft oder verfüttert wurden, bis auf den sibirischen Tiger, den Langs Alkoholikervater aus Trotz und Sturheit durchzufüttern versucht, die Bandenbosse, der Wanderzirkus mit der Tänzerin, die sich in Lang verliebt (und er sich in sie) … Black Dog ist zum Bersten gefüllt mit lakonischer Kinoromantik. Und rutscht doch nie in Sentimentalität ab.

Selbst die Anthropomorphisierung des schwarzen Hundes hält sich in realistischen Grenzen, Guan Hu vermeidet alle Lassie-Momente bis auf ein paar sehr ironisch überzeichnete Szenen.
Gleichzeitig ironisiert er auch die adoleszent-aufmüpfigen Gesten von Pink Floyds «Mother» in diversen akustischen und halbakkustischen Zitaten bis hin zum Abspann. Die einsame Rock-Faust, welche Langs Freund beim Abschied in die Höhe streckt, das Plakat von Pink Floyds «The Wall» an der Zimmerwand und der Pink-Floyd-Schriftzug auf dem Tank von Langs Motorrad, das sind lauter Verweise auf Langs Jugendzeit, welche beim einschlägigen Publikum die gleiche verlegen-sentimental-trotzige Reaktion provozieren, die auch beim Helden angesichts jeglicher Gefühlsanwandlung aufscheint.
Black Dog erweckt all das zum Leben, was dem Kino seinen langen Atem ermöglicht. Und gleichzeitig ist das Film, der ganz unumwunden in die Gegenwart hineinreicht, mit seinem Verweis auf den rasanten Wandel Chinas, auf seine Modernisierung im Austausch und in Reaktion auf die Globalisierung und damit auch auf die gegenwärtigen Verwerfungen, von denen noch niemand weiss, ob und wann sie dereinst eine weitere sentimental-nüchterne Bilanz erfordern werden.
Im Kino ab 10. April 2025 via trigon-film
Entdecke mehr von Sennhausers Filmblog
Melde dich für ein Abonnement an, um die neuesten Beiträge per E-Mail zu erhalten.