
Im Schlafzimmer im oberen Stock des hübschen, einsam in den Feldern von Kansas gelegenen kleinen Hauses hat Lee Sex mit Muriel. Im Staub der unbefestigten Strasse nähert sich derweil Julius, in der Matrosen-Uniform eines Navy-Soldaten, per Anhalter.
Das sich für das ahnungsvolle Kinopublikum abzeichnende Drama findet allerdings nicht statt, im Gegenteil. Die Leinwand lädt sich erst mal auf mit einer hoffnungsvoll-fröhlichen Vertrautheit, die mich als Zuschauer fast schon auslacht für meine vorschnellen Befürchtungen. Und doch: Die Rückkehr von Julius wird zum Auslöser für drei sehr unterschiedliche Aufbrüche, für die junge Frau und für die zwei ungleichen Brüder.

War bisher, und nach Fassbinder, vor allem Todd Haynes der Regisseur, der immer wieder gezielt Erinnerungen an das Kino von Douglas Sirk auslöste, macht Daniel Minahan mit On Swift Horses einen faszinierenden Schritt zurück. Sein sattes, schönes Melodram erinnert nicht bloss an die Sirk-Klassiker wie All that Heaven Allows, Minahans Film macht in gewisser Weise das, was Sirk in den 1950ern noch verwehrt war: Offen queere Selbstentdeckung zum Mitfiebern.
Sicher, Todd Haynes hat, nicht nur mit Carol, schon ähnlich operiert. Er hat den Roman, welchen Patricia Highsmith noch unter einem Pseudonym veröffentlichte, in seiner eigenen Freiheit umgesetzt. Aber unter Einbezug der Filmgeschichte und der gesellschaftlichen Entwicklungen, als opulentes Panorama.
Daniel Minahan dagegen versetzt sich und uns zurück zu seinen Protagonisten, in die 1950er Jahre in Kansas und in Kalifornien.

Die Protagonisten des Debutromans von Shannon Pufahl von 2019 werden in der Adaption von Drehbuchautor Bryce Kass und Regisseur Minahan geschickt zu konzentrischen Kreisen, die sich gegenseitig durchdringen, stören, beleben.
Lee (Will Poulter) ist der All-American-Boy mit dem Traum vom guten Leben in Kalifornien, mit Häuschen, Frau und Kindern, einem Auto, harter Arbeit und erfüllter Pflicht. Lees grosse Liebe Muriel (Daisy Edgar-Jones) ahnt allerdings schon in den ersten Szenen, dass Lees Vorstellung vom erfüllten Leben sich nicht mit ihren decken. Sie willigt erst in den Aufbruch von Kansas nach Kalifornien ein, als der nonchalante, charismatische Julius (Jacob Elordi) auftaucht und damit die Hoffnung auf eine weniger eng aufgegleiste Zukunft.

Julius driftet allerdings nach Las Vegas und verliebt sich im Casino in den mexikanischen Kollegen, mit dem er durch Einweg-Spiegel in der Decke die Betrüger unter den Gamblern aufspürt, während Muriel als Servicekraft in einem Café in San Diego das Pferdewettfieber packt. Denn die männlichen Gäste, die sie gar nicht wahrnehmen, liefern ihr unfreiwillig die besten Tipps. Und dann verliebt sich auch Muriel überraschend, unerwartet und unerlaubt.
Daniel Minahan schafft es mit seinen wunderbaren Darstellern und dank der atemberaubend schönen, in goldenem Licht badenden Kameraarbeit von Luc Montpellier, den hochverdichtet konstruierten Konstellationsverschiebungen des Films einen natürlichen Rhythmus zu geben, man liebt und leidet und fiebert mit den Protagonisten.
Nicht immer allerdings. Jedes Melodrama verlangt schliesslich so etwas wie Wegzoll, indem es die emotionale Logik über die gesellschaftliche Mechanik stellt. Und da agiert dann auch Daniel Minahan durchaus gegenwärtig, indem er die gesellschaftlichen Strömungen, den radikalen gesellschaftlichen Wandel in den USA zwischen Korea- und Vietnamkrieg, den Wirtschafts- und Bau-Boom und die gleichzeitige geistige Enge der kalifornischen 1950er Jahre mit dem heutigen Blick offenlegt.
Daisy Edgar-Jones ist als Muriel optisch irgendwo zwischen Elizabeth Taylor und Audrey Hepburn verordnet, gleichzeitig aber eine überraschend moderne Frauenfigur. Das ändert sich allerdings, als Muriel in Kalifornien die eigenen Grenzen auszuloten beginnt. Da verkommt ihre Figur bisweilen zu einer Funktion, zum Katalysator für Interaktionen.

Noch deutlicher gilt das für Lee, den aufgeschlossenen, liebenswürdigen und unglaublich toleranten Realitätsträumer. Will Poulter wirkt in all seinen Szenen sehr überzeugend, im Rückblick wird diese Figur allerdings zur Schablone – was nicht an Poulters schauspielerischer Leistung liegt.
Die zwei alles überstrahlenden Performances kommen allerdings von Jacob Elordi und Diego Calva.

Elordi zeigt als Julius, dass er weit mehr zu bieten hat, als den Posterboy-Charme von Saltburn, der ihn zum Star gemacht hat. Und Calva, der mit seiner Hauptrolle in Babylon aus dem Seriendschungel auf die Hollywoodleinwand katapultiert worden war, zeigt im Duett mit Elordi schauspielerisches Charisma und unwiderstehliche Starqualitäten zugleich.
On Swift Horses ist grosses melodramatisches Kino, im verführerisch nostalgischen Gewand, mit einer gut kalkulierten, zielgenau queeren Sensibilität.
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Kinostart ab 24. April 2025
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